Montag, 23. Juni 2008

Tyndrum-Bridge of Orchy, 10 Kilometer

Unser Tag begann mit dem Alarm, den ein anderer vor uns in den Radiowecker einprogrammiert hatte: laut und viel zu früh. Mein Bett stand an der Wand, und dort, aus der Spalte zwischen Wand und Bett, kam bei jeder Bewegung eine Wolke modrigen Geruchs emporgestiegen. Wohl ein Tribut an die zimmereigene Dusche und fehlende ausreichende Belüftung. So musste ich, um dem Muff zu entgehen, die ganze Nacht auf der rechten Seite schlafen, dem Fenster zugewandt.

Das Frühstück im Dalkell Cottage Guest House, wie das B&B offiziell heißt, offerierte uns die Dame des Hauses mit dem Satz "Hi, I am Angela, your waitress for this morning." Es gab leckeres Rühr- und Spiegelei, Pilze, Tomaten und Bohnen. Und natürlich den obligatorischen kalten Toast mit Orangenmarmelade. Wenn man sich erst einmal daran gewöhnt hat, könnte man sich glatt daran gewöhnen!

Gemeinsam mit uns frühstückte eine Gruppe von sechs Männern mittleren Alters, die knapp vor uns aufbrachen. Wir, gewitzt wie wir nun einmal sind, nahmen eine Abkürzung und kamen zeitgleich mit dem Sechsmanntrupp dort an, wo der West Highland Way Tyndrum verlässt - obwohl die Herren quasi ohne Gepäck reisten. Wir schafften es sogar für etwa einen Kilometer, vor ihnen zu bleiben, doch schließlich überholte und die erste Zweiergruppe, dann die nächste, und dann schnaufte auch schon der fünfte Herr heran. Dieser Herr trug die Masse zweier Geros mit sich herum. Das Schnaufen war daher verständlich. Wir kamen mit ihm ins Gespräch und erfuhren so, dass die Sechs 20 Jahre lang bei Siemens zusammengearbeitet hatten. Jetzt arbeitete er bei VW, kannte zumindest Hannovers Flughafen und hat in Dresden in der VW-Manufaktur am Bentley gearbeitet.

Schließlich wanderte er weiter, um seine Gruppe einzuholen. Der sechste Mann überholte uns dann auch noch irgendwann (er war ein Nachzügler, weil er noch irgendwas eingekauft hatte). Durch das Gespräch hatten wir gar nicht mitbekommen, wie weit wir schon gelaufen waren, und als wir schauten, hatten wir die halbe Strecke schon rum.

Unser Weg führte uns das erste Mal weiträumig durch das, was wir Mitteleuropäer uns reflexartig als Landschaftsform denken, wenn wir das Wort "Highlands" hören: Berge, grüne Hänge, Schafe, Felsen, Heidekraut, Wasser, Wasser, Sumpf, Wasser. Und plötzlich stehen wir mitten in Bridge of Orchy, unserem Tagesziel. Der Ort beginnt mit einer Bahnstation; direkt angegliedert liegt ein Bunkhouse, dann kommt eine Wellblechhütte (!) mit einem "Post Office"-Schild dran, dann eine verlassene Schule, zwei Wohnhäuser, eine Feuerwache, ein Gemeindesaal, zwei weitere Wohnhäuser, dann das wunderschöne, weiße "Bridge of Orchy"-Hotel. An dieses Hotel angeschlossen ist ein weiteres Bunkhouse. Ein Bunkhouse ist eine Art Jugendherberge der simpelsten Art, oft ohne Verköstigung und ohne Kochgelegenheit, manchmal sogar ohne größere sanitäre Anlagen.

Ich hatte gestern während der Langeweile im Pub von Tyndrum hier angerufen und im Voraus zwei "Bunks", also Kojen, gebucht und per Kreditkarte bezahlt. Wir hatten gedacht, dass wir schön langsam laufen, unseren Füßen ein bisschen Ruhe gönnen und irgendwann am Nachmittag hier eintreffen. Doch es war erst 11 Uhr morgens. Und das Einchecken ins Bunkhouse war aus irgendwelchen unerfindlichen Gründen erst ab 15 Uhr möglich. Und das hieß: Zeit totschlagen.

Da zum Bunkhouse ein Hotel gehört und zu jedem anständigen Hotel eine Bar hockten wir uns also in die Bar mit Blick auf die Straße und ließen uns von einem hübschen Mädel bedienen, die anscheinend als einzige Schottin einen Kursus in "Wie bediene ich meine Gäste höflich und zuvorkommend?" erfolgreich absolviert hatte. Wir tranken Tee und ließen uns das Lunch-Menü zeigen. Gerade als wir uns Sandwiches bestellen wollten, sagte Katja: "Da sind ja die zwei!" Und richtig: Steve und Chris standen draußen im Sonnenregenschein. Wir winkten sie herein und nahmen unser Lunch gemeinsam. Katja bestellte sich ein Bacon-Lettuce-Tomato-Sandwich (BLT! Katja!), während ich, Gourmet der ich bin, ein Sandwich mit Hähnchen und Zitronenmayo genoss. Das waren definitiv die besten Sandwiches, die wir hier bisher hatten.

Chris hatte sich eine ebenfalls lecker aussehende Gemüselasagne mit einer Extraportion Pommes bestellt. Jetzt muss ich ein paar Worte zu Pommes frîtes und ähnlichen Kartoffelprodukten verlieren.

Es gibt drei Sorten frittierter Kartoffeln, von denen hierzulande zwei Typen ständig gegessen werden. Da wären zum einen die Crisps. Crisps sind Kartoffelchips. Man isst sie aber nicht bloß vor dem Fernseher zu Bier und schlechten Fußballspielen, sondern grundsätzlich auch zum Sandwich. Das amerikanische Wort für Pommes, nämlich "Fries" (kurz für "French fries") hat sich für sehr lange, sehr dünne, sehr knusprige Pommes frîtes eingebürgert. Man bekommt diese Form der Fritten in Schottland jedoch eigentlich nur bei Burger King oder dem (zumindest vom Namen her) reimportierten McDonald's. Doch haben sich diese amerikanischen Riesen im dünn besiedelten Schottland gottlob noch nicht gegen die lokalen Pubs durchsetzen können. Im Pub gibt es dann auch die britischste Form der Kartoffel, und die heißt "Chips". Diese Kartoffelabschnitte sind mindestens so dick wie ein kleiner Finger, selten richtig knusprig, meistens sehr blass und werden aus normalen Haushaltskartoffeln geschnitzt. Gegessen werden diese Chips meist mit Salz und Essig. Gegessen werden sie grundsätzlich zu allem, auch zu mit getrüffeltem Fasan gefüllten Brustfilets von der Wachtel auf Zucchinijulienne an Preiselbeervinaigrette, soweit ich das einschätzen kann. Auf jeden Fall aber auch zu Gemüselasagne.

Die Chips, die Chris zu ihrer Lasagne hatte, konnten schon gar nicht mehr "Chips" genannt werden. Die Dinger waren eher "Chunks". Aber sie waren augenscheinlich lecker, denn obwohl Chris große Augen machte und irgendwas von "das schaff ich nie" murmelte, verschwanden die Dinger eben doch alle. Steve hatte derweil seine eigenen Chips, zusammen mit "battered Haddock". "Battered" ist in diesem Fall mal nicht im Zusammenhang mit "bruised and battered" zu verstehen, obwohl der arme Haddock - zu deutsch Schellfisch - durchaus übel zugerichtet aussehen kann, sondern "battered" bedeutet "in Bierteig frittiert".

Gleich nach dem Lunch gingen die zwei weiter; sie wollten weiter über den als anstrengend gekennzeichneten Hügel hinter dem Fluss Orchy und auf der anderen Seite ins Hotel von Inveroran gehen. Wir verabredeten uns für den Abend des nächsten Tages auf dem Zeltplatz am King's House Hotel zum Campen.

Mittlerweile klagte auch Katja über ihre Achillessehne, allerdings die linke. Unser Mobilat hatte bei mir nicht richtig geholfen, und ich ärgerte mich, dass wir unser tiefenwirksame Hitzepräparat Finalgon zu Hause hatten liegen lassen. So entschieden wir uns, das finanzielle Wagnis einzugehen und unsere beiden Rucksäcke von Bridge of Orchy zum King's House Hotel mit dem Gepäckdienst Travel-Lite vorauszuschicken und ebenfalls nur mit leichtem Gepäck zu gehen (bei meinem Rucksack lässt sich der Deckel abnehmen und als Umhängetasche verwenden). So wollten wir unsere Füße um 15 Kilo entlasten.

Endlich wurde es 15 Uhr und wir konnten ins Bunkhouse einchecken. Und siehe, was lag da in der Vitrine des Check-in-Schalter? Wanderwichtiges Zeugs! Mückennetze, Compeed-Blasenpflaster und – "Deep Heat"-Hitzesalbe. Funktioniert das so wie unser Finalgon? Gekauft! Die Tube kostete drei Pfund, was in Ordnung ging. Außerdem reservierten wir noch für den Abend einen Tisch im Restaurant und hingen draußen ein bisschen ab.

Über die Midges, diese fiesen Viecher, hatten wir mittlerweile einiges in Erfahrung bringen können: Sie mögen Windstille und bedeckten Himmel, auch ein bisschen Regen schreckt sie nicht, aber beim kleinsten Windhauch sind sie verschwunden und mögen auch die Sonne nicht sonderlich. Darum blieben wir von ihnen verschont - die Sonne schien und wir saßen auf einer Parkbank am Fluss Orchy. Im Schatten tanzten die Biester und warteten darauf, dass die Sonne wegging. Aber es wurde schneller Abend als wir gucken konnten. Wir gingen ins Restaurant. Katja bestellte sich die Gemüselasagne, die sie vorher schon bei Chris gesehen hatte. Ich selbst entschied mich für ein Prime Fillet mit Salatbeilage. "How do you like it cooked, sir?" – "Äh, medium, please."

Das Steak kam und sah einfach fantastisch aus. Es war groß und dick, dampfte, war gebettet auf einer dunklen Pfeffersoße und von ein wenig Pfeffer bedeckt. Mir lief das Wasser im Mund zusammen. Dann machte ich den ersten Schnitt - und war entsetzt. Das Fleisch war beinahe komplett durchgebraten, bis auf den Kern, in dem noch ein rosa Schimmer zu erkennen war. Welche Enttäuschung! Wie kann man ein so tolles Stück Fleisch so schlecht grillen? Das kann man doch nicht mehr essen!

Gerade noch rechtzeitig vor meiner Beschwerde kam mir die Erkenntnis: Es war *mein* Fehler. Bei uns im Steakhaus bestellt man "englisch", medium" oder "durch". Im Land des Steaks aber gibt es nicht nur diese drei Stufen - es gibt ihrer acht. Richtig hätte ich "medium rare" bestellen müssen. Also zuckte ich die Schultern und biss ins für meinen Geschmack viel zu durchgebratene Fleisch.

Ich habe erst ein einziges Mal ein so gutes Steak gegessen wie im Bridge of Orchy Hotel, und das war an Bord eines Flugzeugs. Mit den Worten "It has been superb" schickte ich die Kellnerin in die Küche.

Anschließend tranken wir an der Bar noch je einen Whisky. Katja hatte einen mir völlig unbekannten Highland Malt namens Deanston, ich einen Speyside Malt, dessen Namen ich leider gleich wieder vergessen habe. Schließlich ließen wir uns nach einer Dusche von den Midges im Badezimmer des Bunkhouses zerstechen, schmierten die Hitzesalbe auf die Fersen und gingen ins Bett.

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