Sonntag, 29. Juni 2008

Skye und Glasgow

Wir sind tatsaechlich nach Skye gefahren. Von King's House haben wir noch am selben Tag den Bus genommen und sind nach Fort William aufgebrochen. Da haben wir eine Nacht verbracht und sind am naechsten Tag mit dem Bus durch das wunderbare Glen Coe und an der Fjordkueste entlang bis nach Portree gejuckelt.

Das Wetter war leider ziemlich bescheiden. Schon bei der Fahrt nach Portree, dem Hauptort auf Skye, haben wir kaum etwas gesehen. So haben wir uns dann auch das Wandern geschenkt, denn ohne Sicht und im stroemenden Regen Wandern macht nun wirklich keinen Spass. Damit wir nicht bloss in unserem unglaublich netten B&B rumhaengen mussten haben wir uns ein Auto gemietet (Katja ist gefahren) und haben damit die Insel erkundet.

Der Wetterbericht fuer den ersten Tag auf Skye verhiess leichte Bewoelkung. Wir hatten starken Regen. Am zweiten Tag sollte starker Regen ueber uns hereinbrechen - wir hatten leichte Bewoelkung. Traue keinem Wetterbericht auf BBC one.

Sobald man etwas von Skye sehen konnte hat sich der Blick gelohnt. Am zweiten Tag, an dem wir das Auto hatten, und als das Wetter verhaeltnismaessig gut war, haben wir eine richtig schoene Erkundung gemacht. Aber alles hat ein Ende, so auch unser Besuch auf Skye. Von der Suedspitze sind wir mit der Faehre nach Mallaig uebergesetzt und dann von dort per Dampflok (die aus den Harry-Potter-Filmen, danke fuer den Tipp, Gerrit!) von Mallaig nach Fort William gefahren. Von dort sind wir dann direkt weiter nach Glasgow, wo wir jetzt sind.

Lustigerweise treffen wir seit Skye ein deutsches Paerchen immer wieder. Mit ihnen sind wir im Bus von Portree nach Armandale gefahren, haben die Faehre nach Mallaig benutzt, sassen im selben Dampflok-Abteil, fuhren weiter im Regionalzug nach Glasgow und trafen sie im Bahnhof Queens Street wieder, wo sie auf einem Stadtplan die Renfrew Street suchten, in der ihre Herberge und unser Hotel liegen. Und gerade setzen wir uns in dieses Internet-Cafe, und da sitzen die beiden schon wieder da. Am Dienstag kommen wir zurueck; ob wir uns bis dahin noch einmal per Blog melden, weiss ich nicht - das ist eher unwahrscheinlich. Aber spaeter, wenn wir wieder zu Hause sind, trage ich unser Tagebuch nach. Das wird eine Heidenarbeit... Ich glaube, ich lasse Katja tippen :-)

Mittwoch, 25. Juni 2008

Port William — Portree

Schön war es, mal etwas länger zu schlafen! Dafür war mein Frühstück leider nicht so dolle: Das schöne schottische Frühstück schwamm in einer fettigen Wasserlache. Die kalten Toasts hingegen waren wie immer in Ordnung. Als wir vom Frühstück dann zum Zimmer zurückgingen, sahen wir, dass der Regen in den Pfützen Blasen schlug. Darum zogen wir die Rucksackkondome auf, beluden und mit dem Gepäck und checkten aus. Draußen angekommen nieselte es nicht einmal mehr.

Gemütlich latschten wir durch die Fußgängerzone und betraten die Toursitinformation, auf der generellen Suche nach nicht Bestimmtem, jedoch mit der Idee im Hinterkopf, dass man ja – vielleicht im nächsten Jahr? – den Great Glen Way gehen könnte, der hier in Fort William startet und nach Inverness geht. Vor allem aber schauten wir nach Infos zur Insel Skye, denn dort wollten wir ja hin, und zwar nach Möglichkeit mit der Dampflok "The Jacobite", die auch in den Harry-Potter-Filmen digital verändert als "Hogward's Express" für Furore gesorgt hat. Als wir schließlich ohne Karten wieder auf die Straße traten, war da ein ganz süßer Hund mit einem pinkfarbenen Spielzeugring im Maul, mit dem wir unbedingt noch ein paar Minuten spielen und mit seinem Herrchen reden mussten ("If I got as much attention from the ladies as he, I could write a book about it"). Anschließend liefen wir ohne Eile, dafür mit besabberten Fingern in Richtung Bahnhof.

"Sag mal, ist das die Dampflok da hinten, da wo's so raucht?"
"Könnte sein. Die heizen aber bestimmt erst ein. Das braucht immer so lange."

Als wir die Bahnhofshalle von Fort William betraten, verließ "The Jacobite" gerade die Station. Kein Witz. Der nächste Dampfexpress, so erzählte uns die freundliche Wendy hinter dem Schalter, führe dann in 23 Stunden und 59 Minuten. Der nächste normale Zug nach Mallaig ginge um etwa 12:40 Uhr oder so – wir hatten es jetzt kurz nach 10. Also checkten wir erst einmal, ob und wann Busse nach Skye fuhren. Der nächste Bus sollte um 13:40 Uhr fahren, also noch einmal später. Aber wir rechneten mal kurz die beiden Optionen durch:

Der Bus geht direkt nach Portree, mit einer Wartezeit von etwa vier Stunden.
Eine Zugfahrt nach Mallaig bringt nur drei Stunden Warterei mit sich, dort allerdings muss man in die Fähre umsteigen (ungewisse Abfahrtzeiten) und auf Skye angekommen müsste man dann ebenfalls mit einem Bus weiter nach Portree.

Wir entschieden uns dafür, von Anfang an den Bus zu nehmen und setzten uns ins Café des Morrison's-Supermarkts direkt am Busbahnhof. Katja kaufte sich eine britische "InStyle"-Zeitschrift, die mit einer modischen Handtasche der Marke "Elizabeth Hurley" kam. Hätte sie die Cosmopolitan erworben, wären Flipflops dabei gewesen. Ich schrieb währenddessen wieder Tagebuch. Eine Arbeit, vor der sich Katja drückt, wohl, weil sie beruflich so viel zu schreiben hat, was?

Schließlich zogen wir aus lauter Langeweile los und erkundeten den Supermarkt, der die Größe eines kleinen Real-Marktes hatte. Unsere Rucksäcke konnten wir in riesige Schließfächer einschließen, die eigentlich für die vollen Warenkörbe gedacht sind. Da kann Mami also den Einkauf sicher aufbewahren und sich danach ins Café setzen. Schlaue Sache!

Im Endeffekt kauften wir uns ein paar Sandwiches, Kekse und Irn-Bru, den etwas anderen schottischen Nationalsoftdrink, ein knallorangenes Gebräu, das einem laut Reiseführer "beinahe den Schmelz von den Zähnen fräst". Tut es übrigens wirklich beinahe.

Als wir mit Sack und Pack in den wieder heftig eingesetzten Regen hinaustraten, war der Bus schon da. Unser Gepäck verschwand im Kofferraum, wir im Businnern. 22,50 Pfund pro Person von Fort William nach Portree auf Skye. Langsam wird unser Bargeld knapper – wir haben nur noch 150 Pfund.

Die Fahrt mit dem Bus war lang und zog sich. Wegen des wirklich fiesen Wetters hatten wir nur wenig schöne Aussichten, und wegen der Fahrweise des Fahrers vermissten wir auch die Fährfahrt von Mallaig nach Skye nicht – seekrank konnte man auch hier werden. Höhepunkt der Schaukelei war ein 15-Sekunden-Blick auf Eilean Donan Castle in Dornie, wo ein paar Szenen für den Film "Highlander" gedreht worden waren und das zugegebenermaßen wirklich pittoresk ist.

Kurz darauf fuhren wir über die vielleicht 500 Meter lange Brücke, die die kleine Insel Skye mit dem britischen "Festland" verbindet. Dann ging es weiter, meilenweit durch langweilige Regengüsse, die Skye in ödes Einerlei verwandelten. Tristesse heißt Skye. Was reden nur immer alle von den Wundern der Schönheit Skyes?

Endlich in Portree angekommen wandten wir uns schleunigst – es war schon reichlich spät – an das Toursitbüro, um eine zentrumsnahe Unterkunft zu bekommen. Bei einer Einwohnerschaft von 1.900 ist allerdings eigentlich alles zentrumsnah. Problematisch schien zu sein, dass wir uns für drei Nächte festsetzen wollten. Wendy hinter dem Tresen (heißen die Damen hinter einem Schalter alle Wendy?) telefonierte einige Unterkünfte ab und fand schließlich eine für uns, die allerdings "etwas auswärts" läge, ob wir damit einverstanden seien? Wir überlegten hin und her. Etwas außerhalb? Ja, das seien nur etwa 15 Minuten – aber mit Gepäck... Sie sprach noch einmal mit dem Gentleman am anderen Ende der Leitung, dass uns das möglicherweise zu weit draußen sei, dann ging ein Strahlen über ihr Gesicht: "Really?" Sie wandte sich an uns: "Dieser Gentleman bietet an, Sie hier abzuholen." Das ist ja mal ein Ding! Wir willigten gerne ein.

Kurz darauf standen wir im Nieselregen und lernten Jeff kennen, der in seinem mintgrünen Renault Mégane angerollt kam. Katjas Rucksack als der kleinere von beiden wanderte in den Kofferraum, meiner auf den Rücksitz neben Katja. Und dann saß ich erstmals in einem Auto links vorne, ohne dass mich ein Steuerrad störte. Allerdings schien es mir sehr gefährlich, auf der linken Seite des Straße zu fahren und darauf zu spekulieren, dass das auch alle anderen tun.

Kurz darauf waren wir "etwas außerhalb". Ohne Gepäck wäre das wirklich ein 15-Minuten-Marsch geworden, mit Gepäck vielleicht 20 Minuten. Allerdings haben wir das Haus so viel besser gefunden. Im Haus lernten wir Jeffs Frau Anne kennen. Sie brachte uns durch die Lounge nach oben ins niedliche Dachgeschoss, das wir für uns alleine haben.

Weil ich erwähnt hatte, dass wir noch zum Essen in ein Pub gehen wollten, bot Jeff an, uns hinzubringen. So muss ein B&B sein – Familienanschluss!

Das Pub war ziemlich ungemütlich, das Essen dafür aber gut, wenn auch etwas teuer. 25 Pfund für ein Gulaschgericht, einen Ceasar's Salad und zwei Pint Cider. Morgen wieder? Eher nicht. Nach dem Essen gingen wir zurück zum B&B, statt im Pub zu bleiben und dort Fußball zu gucken. Die Lounge war voll – ein Pärchen mit französischem Akzent und ein Typ saßen da und guckten Tennis. Wir fragten, ob gleich auf Fußball umgeschaltet werde. "Jaja, na klar!" Wir zogen kurz die Regenklamotten in unserem Raum aus und gingen wieder runter. Das Paar war weg, und nur noch der Typ saß da. Fußball lief gleich an: Deutschland gegen die Türkei.

Es war das schlechteste Spiel, das ich seit Jahren gesehen habe.

Glücklicherweise fiel zwischendurch immer wieder das Bild aus, weil in Wien ein Gewitter tobte, das weltweit die Leitungen unterbrach. Während einer solchen Bildpause, in denen die BBC kurzerhand den Radiokommentar einkopelte, schoss Klose das erlösende 2:1. Nachher gewann Deutschland knapp und vollständig unverdient 3:2.

Katja duscht, ich schreibe. Gleich dusche ich und Katja muss lesen. :-)

Dienstag, 24. Juni 2008

Bridge of Orchy – Fort William, 20 Kilometer

Man sollte meinen, dass ein alteingesessenes Hotel gewisse Dinge routinemäßig erledigt. Etwa, seinen Gästen das Frühstück kredenzen. Doch manchmal irrt man sich in seinen Annahmen. Im Bridge of Orchy-Hotel lief einigermaßen alles schief, was beim Frühstück schief gehen kann. Allerdings habe ich den Verdacht, dass das nicht am Hotel selbst lag, sondern an der Dame mittleren Alters, die ein Gesicht zog wie Grotgork, weil sie uns bedienen musste. Es gab also Tassen, aber es gab keinen Tee. Es gab Toast, aber keine Teller. Dann kam Tee, aber Zucker und Milch fehlten. Dann kam ein Teller, aber kein zweiter. Und außerdem kippelte der Tisch wie verrückt. Geschmeckt hat das Frühstück trotzdem, besonders das Porridge.

Wir brachen mit steifen (und mit "Deep Heat"-Salbe eingeschmierten) Achillessehnen um 8:30 Uhr auf, allerdings gaben wir vorher noch unsere Rucksäcke an der Rezeption für Travel-Lite auf. Für acht Pfund pro Tasche sollten sie nun von hier zum King's House Hotel transportiert werden, dem Ziel des Tages.

Von meinem Rucksack hatten wir das Deckelfach gelöst, in das wir unsere Regenhosen und den mit Wasser gefüllten Platypus verstauten. Das Erste-Hilfe-Paket wanderte an den Gurt der vor dem Urlaub gekauften Kängurutasche, in der wir alles Wichtige stets am Mann transportierten: Papiere, Kamera, Müsliriegel, Schmerztabletten und Blasenpflaster.

Noch als wir vor dem Hotel Wasser in den Platypus füllten, attackierten uns die ersten Midgie-Schwärme. Sofort setzten wir unsere in Tyndrum erworbenen Mückennetze auf den Kopf und hatten unmittelbar Ruhe vor den Plagegeistern. Zumindest am Kopf. Die Hände jedoch waren nur bei Bewegung oder Wind Midgie-frei. So zogen wir also los, total lächerlich aussehend mit unseren olivfarbenen Netzen auf den Köpfen.

Als erstes kam ein Hügel, der uns Tags zuvor Sorge bereitet hatte, weil er laut Landkarte ziemlich steil war. Die Höhenlinien lagen ziemlich eng zusammen, und aus dem Druck ging nicht eindeutig hervor, wie steil wir würden gehen müssen. Lustigerweise bereitete uns der Berg keinerlei Probleme. Wir fanden die ganze Tour rauf und runter als ziemlich einfach. Später kamen wir darauf, dass dieses Empfinden möglicherweise ans Fehlen unserer Rucksäcke gekoppelt war.

Es folgte eine wunderbare Wanderung durch die Highlands – ohne Sicht und bei absoluter Windstille. Unsere Sichtweite betrug vielleicht ein Kilometer, vielleicht auch zwei, danach verschwand die Landschaft im Dunst. Die Sonne schien den ganzen Tag nicht, die tief hängenden Wolken lösten sich nicht auf. Dadurch, dass kein Wind blies, erklärten die Midges diesen Tag zu ihrem persönlichen Nationalfeiertag. Und das wiederum hieß, dass wir uns überlegen mussten, wie wir essen und trinken würden, ohne selbst zur Nahrung zu werden. Die Lösung war einfach: Während man sich bewegt, landen die Midges nicht, weil der "Fahrtwind", den man verursacht, offenbar unangenehm für sie ist. Das hieß, dass wir während des Gehens essen mussten. Wir hatten ohnehin nur Müsliriegel dabei, daher war das auch praktikabel. Netz hochklappen (huch! frische Luft!), essen, Netz wieder runterklappen.

Trinken war ebenso einfach. Ein Platypus sieht aus wie eine durchsichtige Capri-Sonne-Tüte mit zwei Litern Fassungsvermögen, nur dass der Inhalt in aller Regel nicht so chemisch schmeckt. Er hat oben etwa da, wo bei der Capri-Sonne der Trinkhalm rein muss, einen Schraubverschluss. Den Verschluss schoben wir unter dem Netz durch und drückten das Wasser einfach nach oben durch den "Trinkhalm". Bis die Midgies diesen Trick raushatten, waren wir nicht mehr durstig.

Auf halber Strecke nervte mich irgendwas in meiner Cargohose am rechten Bein. Ich blieb stehen und öffnete die Hose, um nachzusehen, was das war. Und ach du je - es war der Schlüssel zu unserem Bunkhouse-Zimmer. Ein riesiges Teil, das ich eigentlich hatte abgeben wollen, dann aber in die Tasche gesteckt hatte, um die Hände zum Platypus-Füllen frei zu haben. Was denn nun? Zurücklaufen? Katja hatte zwar ihr Handy mit in der Umhängetasche, aber die Telefonnummer des Hotels lag mit unserem Reiseführer zusammen im Rucksack, der gerade per Lieferwagen durch die Gegend geschaukelt werden dürfte. Obwohl...? Ich hatte ja von Tyndrum aus das Bunkhouse reserviert, also müsste die Nummer doch noch gespeichert sein! Aber – haben wir hier überhaupt Empfang, mitten im Rannoch Moor? Funkmasten konnten wir nirgends sehen. Katja schaltete das Telefon ein. Wir warteten auf die Signalstärke. Eine halbe Minute passierte nichts. Dann: Vodafone UK, volle Leistung.

Ich rief im Bridge of Orchy Hotel an und berichtete über meinen Fund. Dort lachte man nur und sagte, ich sei nicht der erste, dem das passiert sei. Im King's House solle ich den Schlüssel einfach abgeben und per Travel-Lite zurückschicken lassen. Die sind ja mal cool, die Leute.

Weil wir uns ob unserer geschundenen Fersen recht langsam bewegten, überholte uns eine englische Reisegruppe. Keiner von diesen Leuten war gegen Midgies gerüstet, alle wedelten permanent mit den Händen in der Luft herum. Einer sagte im Vorübergehen zu Katja: "I'll give you one thousand Pounds for that hat." Aber da, so fanden wir, wäre er wohl ein bisschen zu billig davongekommen. Schließlich hatten wir noch zehn, elf Kilometer vor uns! (Später stellte sich übrigens heraus, dass die englische Reisegruppe eigentlich eine deutsche Reisegruppe war, und der Typ mit dem 1000-Pfund-Angebot ihr hervorragend deutsch sprechender Reiseleiter.) Außerdem trafen wir unsere erste Reisebekanntschaft wieder, jenem allein reisenden Schotten aus Glasgow, der kurz vor Drymen auf dem Campingplatz geblieben war.

Die Highlands hätten wunderschön sein können, wenn wenigstens ein bisschen Wind gegangen wäre und die Midges vertrieben hätte. So aber steckten wir in unseren Mückennetzen fest, hinter deren dünner Stofflage sich trotz nur 10 oder 13 Grad Außentemperatur eine drückende Schwüle aufbaute. Sogar unsere Brillen beschlugen. Ich setzte meine ab und steckte sie in die Tasche. Im Gegensatz zu Katja bin ich nicht wirklich auf die Sehhilfe angewiesen.

Der Weg lief durch absolute Einsamkeit. Einige Kilometer östlich von uns verlief die Schnellstraße zwischen Glasgow und Fort William, die wir ab und zu sehen, jedoch nie hören konnten. Hätten wir aus irgendeinem Grunde zur Straße gemusst, wären wir aufgeschmissen gewesen. Sie war durch das Moor, das sich insgesamt noch für weitere 30 Kilometer nach Osten erstreckt, so gut wie unerreichbar. Damals in Irland hatten Béla und ich für eine Strecke von nur vierhundert Metern in vergleichbarem Terrain eine satte Stunde benötigt - und hinterher waren wir ziemlich kaputt.

Doch hatten wir gar keinen Anlass, zur Straße zu wollen. Der Weg, auf dem Katja und ich liefen, verlief deutlich oberhalb der Schnellstraße. Er bestand größtenteils aus einer alten Militärstraße der britischen Besatzer und war einigermaßen einfach zu gehen. (Andererseits haben die Römer 1500 Jahre früher bessere und haltbarere Straßen gebaut als die englische Armee im 18. Jahrhundert.) Wir fragten uns, unter welchen Umständen der Weg wohl gebaut worden war. Schottische Sklavenarbeiter? Ausländische Kriegsgefangene? Britische Strafkompanien? In jedem Fall haben die Arbeiter und ihre Aufseher wohl unsäglich unter den Midges leiden müssen.

Schließlich konnten wir unser Etappenziel King's House Hotel von unserem Weg aus sehen: ein weißer Fleck vor einem riesigen Bergmassiv. Links und rechts sonst nichts, nichts, nichts als Ödnis und der Schnellstraße als Verheißung von Zivilisation.

Die Bezeichnung "King's House" zeigt deutlich die schottische Wertschätzung gegenüber englischer Monarchengeschlechter: Als es den Namen erhielt, handelte es sich bei dem Gebäude um eine Viehtreiberunterkunft.

Etwa zwei Kilometer vor dem königlichen Gemäuer steht ein Schild mitten in der Pampa: "Cafe open 9-4". Darunter ein Pfeil nach links, der auf einen kleinen, offenbar frisch angelegten Weg weist. Dort geht es zum größten schottischen Skigebiet, dessen Café eben auch im Sommer offen hat. Wir entschieden uns ob der frühen Stunde, dorthin zu gehen.

Zunächst waren wir die einzigen Gäste in diesem modernen, wenig gemütlichen, aber vollständig aus Holz gebauten Cafékomplex. Doch wie so oft: Kaum hatten wir unsere Soups of the day bestellt (ja, es gab zwei: Carrots and Sweet Potatoes sowie Spicy Sweet Tomatoes; erstere war sehr, sehr gut, letztere schmeckte ein bisschen wie verdünnte Miracolì-Soße) stürmte eine Horde von zwei Leuten das Etablissement. Übrigens gab es hier kostenlosen Internet-Zugang. Um in den Genuss des Bloggens zu kommen mussten jedoch zwei Hürden überwunden werden: Erstens wurde die Geduld auf die Probe gestellt, denn anscheinend hatte es jemand geschafft, einen 386er mit Windows XP auszustatten. Dies war der definitiv langsamste PC, den ich je gesehen habe. Außerdem lag das @-Zeichen nicht da, wo es laut Tastaturbedruckung der englischen Standard-Windows-Tastatur hätte liegen müssen. Da ich Mac-User bin, weiß ich eh nicht, wo bei Windows das @-Zeichen liegt, und dann noch auf einer UK-Tastatur? Das @-Zeichen ist jedoch wichtig zum Bloggen, weil ich hier zur Anmeldung meine E-Mail-Adresse eingeben muss.

Ich behalf mich, indem ich eine Seite aufrief (rödel, rödel), auf der ein @ zu sehen war, kopierte es in die Zwischenablage und setzte es dann an entsprechender Stelle im Login-Fenster wieder ein. Und das alles im 386er-Tempo von 1993. Immerhin konnte ich ein paar Zeilen schreiben.

Unterdessen machte sich Katja Gedanken über die kommenden Tage – und entschied, dass wir die Wanderung beendeten. Allerdings schaffte sie es später, mich davon zu überzeugen, dass das einzig und allein meine Idee gewesen war. Wir verließen das Café und liefen zum zwei Kilometer entfernten King's House Hotel. Draußen tobte ein frischer Wind – die Midges waren gottlob endlich fortgeblasen.

Wir hatten bereits vorher durch Chris und Steve in Erfahrung gebracht, dass das King's House Hotel voll war. Wir wussten auch, dass die daneben gelegene Wiese, auf der man für eine Nacht zelten darf, keinerlei sanitäre Einrichtungen hat und das Hotel dem Zelter nicht zur Verfügung steht. Darum tranken wir einen Tee mit dem Schotten aus Glasgow, den wir in der Bar des Hotels trafen (wo ich den Schlüssel für Bridge of Orchy abgab und mich nach unserem Gepäck erkundigte) und der uns erzählte, er habe sich sein Zimmer bereits im Januar (!!) gebucht, um sicher für diese Nacht unterzukommen. Gegen 17 Uhr verabschiedeten wir uns, schauten auf dem Zeltplatz noch einmal nach Chris und Steve (wo bleiben die denn?) und gingen dann zur Straße, um auf den Bus nach Fort William zu warten.

Die Wolken, die dank des plötzlich aufgetretenen, munteren Windes endlich auch zu sehen waren, weil der Dunst mitsamt den Midges weggepustet worden war, waren phänomenal. Sie türmten sich an den Bergen auf, stiegen empor, krabbelten über ihre Gipfel und sanken auf der anderen Seite wieder herab. Doch dann kam schon der Bus, der uns leider viel zu schnell durch Glen Coe nach Fort William trug.

Glen Coe. Das schönste Tal Schottlands, so sagen viele.
Katjas Erinnerung an Glen Coe ist: grün.
Meine Erinnerung an Glen Coe ist: Berge und Kurven. (Katja hatte im Bus "Extra für dich!" einen Sitz gewählt, von dem aus ich eine großartige Aussicht auf eine, nun ja, recht freizügig bekleidete und wohlgeformte Schottin hatte.)

Fort William ist die größte Stadt der Highlands und eine Touristenfalle, weil es direkt am Fuße des Ben Nevis gelegen ist, dem mit tausendzwohundertirgendwas Metern höchsten Berg der britischen Inseln. Interessanterweise ist der Ben Nevis 300 Tage im Jahr nicht zu sehen, trotzdem ist das Nest voller Bergsteiger und Tagesausflügler. Entsprechend teuer ist hier alles. Das Hotel, in dem wir schließlich Unterkunft fanden, war nichts besonderes, kostete aber 40 Pfund pro Nase. Das Essen, das wir in der Fußgängerzone in einem wenig anheimelnden Restaurant/Pub hatten, war okay bis gut, aber mit über 20 Pfund eigentlich auch zu teuer für Schottland: Katja hatte ein überbackenes Hähnchenschnitzel, ich einen (sehr guten) Angus-Beef-Burger. Dazu kamen zwei Limonaden. Anschließend haben wir noch das Ende des West Highland Ways gesucht und gefunden und ein paar Beweisfotos gemacht. Allerdings ging mir dieser Spaziergang zum Schluss des Tages ganz schön auf den Nerv, genauer: auf die Sehne. Mittlerweile machte ich mit dem rechten Bein derartige, falsche Ausgleichsbewegungen, dass meine ganze rechte Wade hart war und mir das ganze Bein weh tat. Die letzten 500 Meter ins Hotel dachte ich nicht schaffen zu können. Ich humpelte und hinkte, es tat fürchterlich weh. Endlich kamen wir im Hotel an. Unser Zimmer hatte eine Badewanne, das Wasser war heiß und es hatte Druck. Selten habe ich mich so sehr über ein richtig heißes Bad gefreut. Ich stieg hinein (aaaaaaaah!), setzte mich, legte mich ab und blieb erst einmal liegen. Sofort wurde es meinem Bein besser. Ich blieb so lange im heißen Wasser sitzen, bis ich ganz verschrumpelt war und sich Katja beschwerte, weil sie auch noch baden wollte. Aber als sie dann drin saß sagte sie: "Hier gehe ich nie wieder raus!"

Währenddessen lief eine faszinierende Kochshow im Fernsehen. Das Ding hieß "The f-word". Zu Hause muss ich mal nachforschen, was genau das ist. Schließlich (auch Katja war mittlerweile wieder aus der Wanne aufgetaucht) gingen wir ins Bett. "Lass uns morgen mal ein bisschen länger schlafen", sagte Katja noch und stellte den Wecker auf 8 Uhr.

Die Midgie-Saison ist eroeffnet!

Heute sind wir von Bridge of Orchy nach King's House gewandert, das sind knapp 20 km quer durch die Highlands, mitten durch ein Moor, fernab jeglicher Zivilisation. Naja, wir sind noch nicht ganz dort angekommen, aber wir koennen es sehen, das Haus des Koenigs. Es handelt sich um eine alte Viehtreiberunterkunft, die jetzt als Hotel fungiert. Und damit ist es die einzige Unterkunft im Umkreis von 20 km. Es ist voll, deshalb haben wir keine Eile. Im Moment sitzen wir im Cafe von Schottlands einzigem Skigebiet (direkt am King's House, nur 2 km entfernt) und goennen unseren geschundenen Fuessen ein bisschen Ruhe und unseren Ohren eine schoene alte Scheibe von Whitney Houston.

In den Highlands gibt es eine Insektenart, Midgies genannt, die nur unwesentlich groesser als unsere Gewittertierchen sind. Allerdings fressen einen Gewittertierchen im Gegensatz zu Midgies nicht auf. Midgies sind im Prinzip kleine, in riesigen Schwaermen vorkommende Muecken, die kuehles, nicht zu sonniges Wetter moegen. Das heisst, dass sie dann rauskommen, wenn auch Wanderer gern unterwegs sind. Und heute war es ganz schlimm mit den Viechern. Denn es wehte kein bisschen Wind, der sie sonst vertreiben wuerde. Deshalb gibt es wirksamen, mechanischen Schutz: ein feines Netz, das man sich ueber den Kopf und Hut haengt. Sieht total laecherlich aus, sichert aber eine heile Haut. Uns ueberholte ein Schotte, der im Vorbeigehen "I'll give you one thousand Pounds for that hat" sagte. Aber da waere er ein bisschen billig weggekommen, fanden wir.

Sowohl Katjas als auch meine Achillessehne schmerzt, bei ihr links, bei mir rechts, zudem soll das Wetter zunehmend schlechter werden, von daher ueberlegen wir, wie es ab morgen weitergehen soll. Moeglicherweise brechen wir an dieser Stelle ab und fahren mit dem Bus nach Skye?

Montag, 23. Juni 2008

Tyndrum-Bridge of Orchy, 10 Kilometer

Unser Tag begann mit dem Alarm, den ein anderer vor uns in den Radiowecker einprogrammiert hatte: laut und viel zu früh. Mein Bett stand an der Wand, und dort, aus der Spalte zwischen Wand und Bett, kam bei jeder Bewegung eine Wolke modrigen Geruchs emporgestiegen. Wohl ein Tribut an die zimmereigene Dusche und fehlende ausreichende Belüftung. So musste ich, um dem Muff zu entgehen, die ganze Nacht auf der rechten Seite schlafen, dem Fenster zugewandt.

Das Frühstück im Dalkell Cottage Guest House, wie das B&B offiziell heißt, offerierte uns die Dame des Hauses mit dem Satz "Hi, I am Angela, your waitress for this morning." Es gab leckeres Rühr- und Spiegelei, Pilze, Tomaten und Bohnen. Und natürlich den obligatorischen kalten Toast mit Orangenmarmelade. Wenn man sich erst einmal daran gewöhnt hat, könnte man sich glatt daran gewöhnen!

Gemeinsam mit uns frühstückte eine Gruppe von sechs Männern mittleren Alters, die knapp vor uns aufbrachen. Wir, gewitzt wie wir nun einmal sind, nahmen eine Abkürzung und kamen zeitgleich mit dem Sechsmanntrupp dort an, wo der West Highland Way Tyndrum verlässt - obwohl die Herren quasi ohne Gepäck reisten. Wir schafften es sogar für etwa einen Kilometer, vor ihnen zu bleiben, doch schließlich überholte und die erste Zweiergruppe, dann die nächste, und dann schnaufte auch schon der fünfte Herr heran. Dieser Herr trug die Masse zweier Geros mit sich herum. Das Schnaufen war daher verständlich. Wir kamen mit ihm ins Gespräch und erfuhren so, dass die Sechs 20 Jahre lang bei Siemens zusammengearbeitet hatten. Jetzt arbeitete er bei VW, kannte zumindest Hannovers Flughafen und hat in Dresden in der VW-Manufaktur am Bentley gearbeitet.

Schließlich wanderte er weiter, um seine Gruppe einzuholen. Der sechste Mann überholte uns dann auch noch irgendwann (er war ein Nachzügler, weil er noch irgendwas eingekauft hatte). Durch das Gespräch hatten wir gar nicht mitbekommen, wie weit wir schon gelaufen waren, und als wir schauten, hatten wir die halbe Strecke schon rum.

Unser Weg führte uns das erste Mal weiträumig durch das, was wir Mitteleuropäer uns reflexartig als Landschaftsform denken, wenn wir das Wort "Highlands" hören: Berge, grüne Hänge, Schafe, Felsen, Heidekraut, Wasser, Wasser, Sumpf, Wasser. Und plötzlich stehen wir mitten in Bridge of Orchy, unserem Tagesziel. Der Ort beginnt mit einer Bahnstation; direkt angegliedert liegt ein Bunkhouse, dann kommt eine Wellblechhütte (!) mit einem "Post Office"-Schild dran, dann eine verlassene Schule, zwei Wohnhäuser, eine Feuerwache, ein Gemeindesaal, zwei weitere Wohnhäuser, dann das wunderschöne, weiße "Bridge of Orchy"-Hotel. An dieses Hotel angeschlossen ist ein weiteres Bunkhouse. Ein Bunkhouse ist eine Art Jugendherberge der simpelsten Art, oft ohne Verköstigung und ohne Kochgelegenheit, manchmal sogar ohne größere sanitäre Anlagen.

Ich hatte gestern während der Langeweile im Pub von Tyndrum hier angerufen und im Voraus zwei "Bunks", also Kojen, gebucht und per Kreditkarte bezahlt. Wir hatten gedacht, dass wir schön langsam laufen, unseren Füßen ein bisschen Ruhe gönnen und irgendwann am Nachmittag hier eintreffen. Doch es war erst 11 Uhr morgens. Und das Einchecken ins Bunkhouse war aus irgendwelchen unerfindlichen Gründen erst ab 15 Uhr möglich. Und das hieß: Zeit totschlagen.

Da zum Bunkhouse ein Hotel gehört und zu jedem anständigen Hotel eine Bar hockten wir uns also in die Bar mit Blick auf die Straße und ließen uns von einem hübschen Mädel bedienen, die anscheinend als einzige Schottin einen Kursus in "Wie bediene ich meine Gäste höflich und zuvorkommend?" erfolgreich absolviert hatte. Wir tranken Tee und ließen uns das Lunch-Menü zeigen. Gerade als wir uns Sandwiches bestellen wollten, sagte Katja: "Da sind ja die zwei!" Und richtig: Steve und Chris standen draußen im Sonnenregenschein. Wir winkten sie herein und nahmen unser Lunch gemeinsam. Katja bestellte sich ein Bacon-Lettuce-Tomato-Sandwich (BLT! Katja!), während ich, Gourmet der ich bin, ein Sandwich mit Hähnchen und Zitronenmayo genoss. Das waren definitiv die besten Sandwiches, die wir hier bisher hatten.

Chris hatte sich eine ebenfalls lecker aussehende Gemüselasagne mit einer Extraportion Pommes bestellt. Jetzt muss ich ein paar Worte zu Pommes frîtes und ähnlichen Kartoffelprodukten verlieren.

Es gibt drei Sorten frittierter Kartoffeln, von denen hierzulande zwei Typen ständig gegessen werden. Da wären zum einen die Crisps. Crisps sind Kartoffelchips. Man isst sie aber nicht bloß vor dem Fernseher zu Bier und schlechten Fußballspielen, sondern grundsätzlich auch zum Sandwich. Das amerikanische Wort für Pommes, nämlich "Fries" (kurz für "French fries") hat sich für sehr lange, sehr dünne, sehr knusprige Pommes frîtes eingebürgert. Man bekommt diese Form der Fritten in Schottland jedoch eigentlich nur bei Burger King oder dem (zumindest vom Namen her) reimportierten McDonald's. Doch haben sich diese amerikanischen Riesen im dünn besiedelten Schottland gottlob noch nicht gegen die lokalen Pubs durchsetzen können. Im Pub gibt es dann auch die britischste Form der Kartoffel, und die heißt "Chips". Diese Kartoffelabschnitte sind mindestens so dick wie ein kleiner Finger, selten richtig knusprig, meistens sehr blass und werden aus normalen Haushaltskartoffeln geschnitzt. Gegessen werden diese Chips meist mit Salz und Essig. Gegessen werden sie grundsätzlich zu allem, auch zu mit getrüffeltem Fasan gefüllten Brustfilets von der Wachtel auf Zucchinijulienne an Preiselbeervinaigrette, soweit ich das einschätzen kann. Auf jeden Fall aber auch zu Gemüselasagne.

Die Chips, die Chris zu ihrer Lasagne hatte, konnten schon gar nicht mehr "Chips" genannt werden. Die Dinger waren eher "Chunks". Aber sie waren augenscheinlich lecker, denn obwohl Chris große Augen machte und irgendwas von "das schaff ich nie" murmelte, verschwanden die Dinger eben doch alle. Steve hatte derweil seine eigenen Chips, zusammen mit "battered Haddock". "Battered" ist in diesem Fall mal nicht im Zusammenhang mit "bruised and battered" zu verstehen, obwohl der arme Haddock - zu deutsch Schellfisch - durchaus übel zugerichtet aussehen kann, sondern "battered" bedeutet "in Bierteig frittiert".

Gleich nach dem Lunch gingen die zwei weiter; sie wollten weiter über den als anstrengend gekennzeichneten Hügel hinter dem Fluss Orchy und auf der anderen Seite ins Hotel von Inveroran gehen. Wir verabredeten uns für den Abend des nächsten Tages auf dem Zeltplatz am King's House Hotel zum Campen.

Mittlerweile klagte auch Katja über ihre Achillessehne, allerdings die linke. Unser Mobilat hatte bei mir nicht richtig geholfen, und ich ärgerte mich, dass wir unser tiefenwirksame Hitzepräparat Finalgon zu Hause hatten liegen lassen. So entschieden wir uns, das finanzielle Wagnis einzugehen und unsere beiden Rucksäcke von Bridge of Orchy zum King's House Hotel mit dem Gepäckdienst Travel-Lite vorauszuschicken und ebenfalls nur mit leichtem Gepäck zu gehen (bei meinem Rucksack lässt sich der Deckel abnehmen und als Umhängetasche verwenden). So wollten wir unsere Füße um 15 Kilo entlasten.

Endlich wurde es 15 Uhr und wir konnten ins Bunkhouse einchecken. Und siehe, was lag da in der Vitrine des Check-in-Schalter? Wanderwichtiges Zeugs! Mückennetze, Compeed-Blasenpflaster und – "Deep Heat"-Hitzesalbe. Funktioniert das so wie unser Finalgon? Gekauft! Die Tube kostete drei Pfund, was in Ordnung ging. Außerdem reservierten wir noch für den Abend einen Tisch im Restaurant und hingen draußen ein bisschen ab.

Über die Midges, diese fiesen Viecher, hatten wir mittlerweile einiges in Erfahrung bringen können: Sie mögen Windstille und bedeckten Himmel, auch ein bisschen Regen schreckt sie nicht, aber beim kleinsten Windhauch sind sie verschwunden und mögen auch die Sonne nicht sonderlich. Darum blieben wir von ihnen verschont - die Sonne schien und wir saßen auf einer Parkbank am Fluss Orchy. Im Schatten tanzten die Biester und warteten darauf, dass die Sonne wegging. Aber es wurde schneller Abend als wir gucken konnten. Wir gingen ins Restaurant. Katja bestellte sich die Gemüselasagne, die sie vorher schon bei Chris gesehen hatte. Ich selbst entschied mich für ein Prime Fillet mit Salatbeilage. "How do you like it cooked, sir?" – "Äh, medium, please."

Das Steak kam und sah einfach fantastisch aus. Es war groß und dick, dampfte, war gebettet auf einer dunklen Pfeffersoße und von ein wenig Pfeffer bedeckt. Mir lief das Wasser im Mund zusammen. Dann machte ich den ersten Schnitt - und war entsetzt. Das Fleisch war beinahe komplett durchgebraten, bis auf den Kern, in dem noch ein rosa Schimmer zu erkennen war. Welche Enttäuschung! Wie kann man ein so tolles Stück Fleisch so schlecht grillen? Das kann man doch nicht mehr essen!

Gerade noch rechtzeitig vor meiner Beschwerde kam mir die Erkenntnis: Es war *mein* Fehler. Bei uns im Steakhaus bestellt man "englisch", medium" oder "durch". Im Land des Steaks aber gibt es nicht nur diese drei Stufen - es gibt ihrer acht. Richtig hätte ich "medium rare" bestellen müssen. Also zuckte ich die Schultern und biss ins für meinen Geschmack viel zu durchgebratene Fleisch.

Ich habe erst ein einziges Mal ein so gutes Steak gegessen wie im Bridge of Orchy Hotel, und das war an Bord eines Flugzeugs. Mit den Worten "It has been superb" schickte ich die Kellnerin in die Küche.

Anschließend tranken wir an der Bar noch je einen Whisky. Katja hatte einen mir völlig unbekannten Highland Malt namens Deanston, ich einen Speyside Malt, dessen Namen ich leider gleich wieder vergessen habe. Schließlich ließen wir uns nach einer Dusche von den Midges im Badezimmer des Bunkhouses zerstechen, schmierten die Hitzesalbe auf die Fersen und gingen ins Bett.

Sonntag, 22. Juni 2008

Inversnaid–Tyndrum, 0 km zu Fuß

Gegen Morgen schlief ich schlecht. Mein Bett stand zum offenen Fenster hin, und draußen rauschte es mächtig. Es regnete Katzen und Hunde, wie der Brite sagt. Immer wieder schlief ich ein, immer wieder wachte ich auf. Das Rauschen klang nach Weltuntergang.

Endlich standen wir auf und schauten uns das Drama an: Es regnete wirklich Bindfäden. Und ausgerechnet heute stand die schwierige und gefährliche Etappe nach Inverarnan an. Gefährlich besonders nach Regen.

Wir entschieden, beim Portier zu fragen, ob man irgendwie anders nach Inverarnan oder wenigstens nach Crianlarich kommt, den nächsten größeren Ort. Das Inversnaid Hotel liegt nämlich mehr oder weniger von der Zivilisation abgeschnitten, schwer zu erreichen am Ende der Seitenstraße eines Feldwegs. Es gibt keine Bus- oder Zugverbindung, keine Taxis, nicht einmal Privatautos, denn der Ort besteht eigentlich nur aus diesem Hotel, und das Personal ist zu 80 % osteuropäischer Herkunft mit Heimstatt im Hotel. Doch Andrej, der slowakische Portier, hatte sofort eine Lösung parat: Mit der Fähre über das Loch übersetzen, dann an die dort verlaufende Straße stellen und einfach den Bus rauswinken. So konnten wir beruhigt und angereichert mit Andrejs Sightseeingtipps frühstücken gehen.

Bei diesem Frühstück habe ich mich erstmals an Porridge gewagt. Schon die deutsche Bezeichnung "Haferschleim" klingt nicht sonderlich appetitlich. Was dann aber in meiner Schüssel dampfte, sah in der Tat noch widerlicher aus, als das Wort "Schleim" erahnen ließ. Trotzdem habe ich es probiert, erst zögerlich, dann jedoch überrascht: Porridge ist im Gegensatz zum ekelerregenden Äußeren komplett fad. Es schmeckt nach gar nichts, verbreitet aber eine angenehme Wärme im Mund. Auch das Taktile des Schleims war gar nicht sooo übel. Also habe ich ein bisschen Zucker reingerührt, und siehe da: lecker! (Später erfuhr ich, dass die Schotten normalerweise Salz reingeben.) Katja hat mit ziemlichen Ekel zugesehen, wie Löffel nach Löffel des körperwarmen Pamps in mir verschwand. Hätte ich ihr zusehen müssen, wäre vermutlich *mir* schlecht geworden. :-) Probieren wollte sie übrigens nicht.

Direkt im Anschluss an das Frühstück haben wir unsere Siebensachen gepackt und sind im mittlerweile nur noch leichten Regen vor das Hotel getreten. Verdutzt schauten wir nach dem Wasserfall. Gestern (ich habe noch einmal nachgeschlagen) beschrieb ich ihn als "milde rauschend", heute fände ich andere Adjektive dafür, "tobend" etwa, "schäumend" oder "reißend". Und sein Wasser war braun von mitgerissenem Torf und Erdreich. Was ein bisschen Regen über Nacht bewirken kann ...

Schließlich gingen wir runter an den Pier. Trotz des leichten Regens tauchten plötzlich riesige Schwärme klitzekleiner Fliegen, "Midges" genannt, auf, die sogleich begannen, uns und die nach uns zum Pier gezockelt gekommenen Senioren aufzufressen. Unfassbar: Da standen wir im Regen und hatten ein Insektenproblem. Die typische Handbewegung des Vormittags war ein wildes Wedeln vor dem Gesicht. Diese Midges haben etwa Fruchtfliegengröße, aber sie setzen sich auf jede freie Hautstelle und hinterlassen einen ziemlichen Juckreiz. Ausgesprochen unangenehm.

Schließlich kam die Fähre, ein überdachtes Boot mit 60 Mann Kapazität. Einer der Schiffer trug ein olivfarbenes Mückennetz über dem Kopf. Schlau. Echt schlau. Anscheinend sind die Eingeborenen hier vorbereitet auf Midges.

Beinahe hätten wir nicht mehr mit dem Boot mitgedurft, weil dr Kahn zu voll wurde. Dabei waren wir die ersten am Pier gewesen. Dennoch: Mit unseren Rucksäcken hätten wir vier Plätze eingenommen, und die Senioren hatten eindeutig Vorrang. Wir blieben also in Regen und Midgieschwarm draußen stehen, bis klar war, dass wir stehend mitgenommen werden würden. Die Rucksäcke allerdings mussten draußen bleiben und wurden auf das Bootsdach gelegt, nur gesichert durch eine niedrige Reling.

Das Loch war ruhig, Wind ging keiner. Dafür wurde der Regen wieder etwas stärker. Auf der anderen Seite des Lochs angekommen (das Übersetzen hat übrigens nichts gekostet) wies uns der Fährmann noch den Weg zur Straße. Wir sollten uns an ein blaues Tor am dort befindlichen Wasserkraftwerk stellen. Dort könnten wir den Bus am besten herauswinken, weil Platz zum Halten sei und der Busfahrer einen auch rechtzeitig sehen könne. Auf dem Weg dorthin fiel uns ein anderer Wanderer auf, der bereits am Straßenrand stand und offenbar auf den Bus wartete. Weil er aber dort ganz fürchterlich falsch war, nämlich in einer langgezogenen Kurve, in der weder er den Bus noch der Busfahrer ihn in seinem nassen, grün-braunen Outfit sehen würde und wo auch kein Platz zum Halten war, riefen wir ihn an und luden ihn ein, mit uns zu warten. Wir stellten uns unter die Äste eines Baumes nahe des blauen Tors am Kraftwerk.

Der nasse Knabe war ein 28-jähriger Amerikaner aus North Carolina (schon wieder so einer!), der derzeit in der Welt herumtingelt und sich sein Campingzeug von schottischen Freunden zusammengeliehen hatte. Leider war das Material wohl nicht so toll: Sein Zelt hatte der letzten Regennacht nicht standgehalten und sein Schlafsack war nass geworden, und so wollte er nach Crianlarich in die Herberge, um wieder zu trocknen. Wir unterhielten uns prima und trennten uns dann, als der Bus (den wir erfolgreich nach 40 Minuten Warterei im Regen herausgewunken hatten) in seinem Zielort hielt. Katja hatte mittlerweile demokratisch entschieden, noch einen Ort weiter zu fahren, nach Tyndrum.

Die etwa 30 km zwischen Inversnaid und Tyndrum, für die wir zu Fuß zwei Tage veranschlagt hatten, legten wir so in nur etwas mehr als einer Stunde zurück - und davon war die halbe Zeit für Warterei auf Fähre und Bus draufgegangen.

In Tyndrum angekommen steuerte Katja erst einmal die Touristinformation an, die nur ein paar Meter vom Busstop entfernt war. Dort ließen wir uns ein B&B buchen. Allerdings machte das erst um 16 Uhr auf, und es war gerade mal erst 11 Uhr. Na gut, es gab immerhin öffentliches Internet, das nicht zu teuer war, und wo ich meine erste Meldung aus Schottland ins Blog postete. Aber dann blieb nur noch der Weg zur Tankstelle, wo wir (A) Postkarten, (B) Briefmarken und (C) für 4,50 Pfund pro Stück Anti-Midgie-Netze für unsere Köpfe kauften. Danach blieb uns nur noch der Gang ins Pub, um die Postkarten zu schreiben und vor dem Regen geschützt die Zeit totzuschlagen.

Wir aßen die Gemüsesuppe des Tages und ertrugen den persönlichen Musikgeschmack der leitenden Bedienung (R&B der schlimmsten afroamerikanischen Sorte - derartige Musik schürt vermutlich Rassismus), bis endlich ein Schichtwechsel eintrat und sich jemand erbarmte, auf das Formel-1-Rennen umzuschalten. Das war zwar ebenso langweilig, aber der Sound war eindeutig besser. Wir konnten davon 27 Runden sehen (ich orderte unterdessen ein Panini, das ist ein getoastetes Baguette mit allerlei Belag), dann, zwei Runden vor Schluss und ein halbes Panini vor mir, kam plötzlich das Pärchen aus Leeds herein, das wir zuletzt in Balmaha vor dem Oak Tree Inn getroffen hatten. Endlich hatten wir nette Gesprächspartner am Tisch!

Der Nachmittag mit Steve und Chris, so hießen die beiden, wurde sehr lustig, und ich habe keine Ahnung, wer das Rennen gewann. Steve und ich, so entdeckten wir sehr schnell, haben gemeinsame Interessen: Geschichte, Politik und Single Malt Whisky. Entsprechend hatten wir viel zu erzählen, inklusive einiger Fachsimpelei über die an der Bar ordentlich aufgereihten Whiskyflaschen. Schließlich, viel später als 16 Uhr, verließen wir das Pub, um noch ins B&B einzuchecken. Die zwei anderen gingen noch etwas zu essen einkaufen, wir verabredeten uns aber für halb sieben zum Abendessen.

Wir waren absolut pünktlich - und das, obwohl wir keine Uhr dabei hatten. Steve und Chris saßen schon da - und hatten bereits gegessen. So aßen denn nur Katja und ich etwas, dann genossen wir noch einige kleine Gläschen edlen Malts. Chris und Katja kamen dabei ebenfalls nicht zu kurz. Die beiden gingen dennoch recht früh, weil sie vorher wenig Schlaf gekriegt hatten, und so gingen auch wir zu unserer Unterkunft, um zu duschen (die Dusche und das Waschbecken waren direkt im recht engen Zimmer untergebracht, wohingegen man sich die einzige Toilette mit vier oder fünf anderen Räumen teilen musste). Ich schrieb Tagebuch, danach schauten wir, ob Italien oder Spanien rausfliegt. Spanien kam weiter.

Ob wir Chris und Steve wiedertreffen? Jedenfalls haben wir E-Mail-Adressen ausgetauscht und wollen locker in Kontakt bleiben.

Erster Post in Schottland

Wir sind da. Uns geht es gut. Das Wetter ist schottisch: "It's raining cats and dogs." Das sind die wichtigsten Botschaften des Tages. Tut mir Leid, dass wir uns nicht frueher gemeldet haben.

Dies ist das erste Internet-Cafe, das wir gefunden haben, und wir sind bereits in Tyndrum. Die ersten drei Tage von Milngavie bis Drymen, von Drymen bis Cashel und von Cashel bis Inversnaid waren derart koerperlich anstrengend, dass wir gestern bei halbwegs schoenem Wetter einfach mal einen Tag Pause im Inversnaid Hotel gemacht haben. Und heute Nacht ging es dann los mit dem Weltuntergangswetter. Darum haben wir uns entschieden, die als schwierigste und gefaehrlichste geltende Strecke des West Highland Ways zwischen Inversnaid und Inverarnan nicht zu Fuss zu gehen, sondern mit dem Bus zu fahren. Dann haben wir noch ein paar Kilometer im Bus drangehaengt, um ein bisschen zu trocknen. Das haben wir getan, und da sind wir jetzt.

Das Internet-Cafe ist gar nicht mal so teuer, wird aber ueber Muenzen betrieben, von denen wir nicht viele haben (Gewicht!). Darum kann ich nicht alles posten, was ich gerne posten moechte. Wir fuehren allerdings Tagebuch, so dass wir unsere Erlebnisse auf jeden Fall nachtraeglich einstellen werden.

Heute bleiben wir in Tyndrum und schlafen im teuersten Bed & Bedfast, das uns bislang untergekommen ist (28 £ pro Nase), und da ist noch nicht einmal eine Toilette im Zimmer. Aber eine Dusche. Naja, mal schauen.

Wir melden uns so schnell wie moeglich wieder. Bis dahin alles Gute and a safe journey!

Samstag, 21. Juni 2008

Inversnaid

Es ist der längste Tag des Jahres. Leider sieht man nicht allzu viel davon. Es regnet zwar nicht, aber die Wolken hängen tief über dem Loch.

Es gibt nicht viel zu tun in der Ödnis von Inversnaid. Das Personal langweilt sich, weil die Gruppe ältlicher Leute, der das Hotel derzeit gehört, mit der Fähre aufgebrochen ist, um sich anderswo zu vergnügen, und das Hotel so in himmlischer Ruhe gelassen hat.

Wir haben das Zimmer wechseln können und sind jetzt in Raum 238, wo es zwar heißes Wasser gibt, aber der Wasserdruck geradezu lächerlich winzig ist. Außerdem haben wir keine Wanne mehr, sondern nur noch eine Dusche. Die Hälfte des Wassers dieser Dusche strömt, nein: rinnt direkt an der Wand herunter, während die andere Hälfte vom Duschkopf herabtröpfelt. Ansonsten hat dieses Badezimmer nur ein Viertel der Fläche des vorherigen Bades, kein Fenster, dafür aber ersatzweise einen funktionsunfähigen Lüfter. Ansonsten ist das Zimmer ordentlich und liegt nur in 20 Meter Luftlinie zum milde rauschenden Wasserfall.

Katja ging hinaus, um ein paar Fotos zu machen, während ich dieses Tagebuch schreibe. In der Lounge, in der ich sitze, steht ein Süßigkeitenautomat, der mich bald wahnsinnig macht. Als ich in die Lounge eintrat, dachte ich noch: "Oh, der Kühlermotor von dem Ding summt aber laut." Dann saß ich fünf Minuten. Und dann sprang der Kühlermotor erst an. Ich dachte, da hebt ein Kampfbomber ab. Irgendwann kam dann auch noch eine osteuropäische Dame vom Personal und entleerte klimpernd den Geldbehälter des Automaten. Fürchterlich.

Nachmittags wusch Katja unseren ersten Schwung Wäsche im Waschbecken. Auch das Waschbecken zeichnete sich gleich der Dusche durch eine Armatur mit eingebauter Benetzungsautomatik aus. Nun hängt unsere Wäsche auf der Leine und im Schrank zum Trocknen. Bis morgen früh, wenn wir wieder abreisen, sollte alles trocken sein. Schließlich haben wir einen Haufen Kohle in diese schnell trocknende Funktionswäsche gesteckt.

Ansonsten passierte absolut nichts. Wir warteten aufs Abendessen (Katja nahm das Hoki-Filet, ich den Truthahnbraten), danach sahen wir zu, wie die von einem Holländer trainierten Russen die Niederländer des Turniers verwiesen. Währenddessen begann es draußen zu regnen.

Morgen geht es nach Inverarnan, das sind etwa zehn Kilometer, nicht allzu viel, aber die Etappe soll eine der anstrengendsten der ganzen Strecke sein, und außerdem die gefährlichste, weil man teilweise hoch über dem Loch Lomond über Klippen klettern muss. Gerade, wenn es nass ist, soll das ziemlich rutschig und kein Spaß sein. Hoffentlich hört der Regen bald auf.

Freitag, 20. Juni 2008

Cashel–Inversnaid, 18 Kilometer

Katja konnte mir einen tollen Wetterbericht der letzten Nacht geben, da sie leider kein Auge hat zumachen können: Erst hatte es stark gewindet, dann später kam Regen dazu. Anschließend wurde das Wasser wieder vom Zelt heruntergepustet, und dann legte sich der Wind. Die erste Nacht im neuen Zelt war also leider ziemlich ernüchternd für sie. Nicht so für mich: Mein Schlaf war erholsam, meinen Muskeln ging es - nach einer kleinen Anlaufphase - hervorragend. Nur meine Achillessehne will einfach nicht besser werden. Aber das wird schon!

Zum sonnigen Frühstück (der heftige Wind hatte sich über Nacht ja bereits gelegt) gab es Müsli mit Milchpulver und eine Scheibe pappigen britischen Brotes mit Zitronengelee, das wir in Mollgäi beim B&B stibitzt hatten. Die Vögel hier sind sehr zutraulich, wie es Tierfreunde vermutlich nennen würden. Besser gesagt sind sie rotzfrech. Sie kommen bis auf einen halben Meter etwa herangehopst und gucken, ob sie was abstauben können. Bei uns allerdings können sie das nicht. Wir essen alles selber auf.

Nachdem wir Zelt, Schlafsäcke, Isomatten und alles andere Zeugs gerade in die Rucksäcke verpackt hatten, begann es aus heiterem Himmel heftig zu regnen. Und das, obwohl die Regenwahrscheinlichkeit für heute bei unter 50 Prozent lag. Vermutlich bedeutet das: "40 bis 50 % - heftige, aber nur kurze Schauer." Denn nach nur fünf Minuten war alles vorbei und die Sonne kam wieder heraus. Wir brachen auf. Kaum waren wir nur zehn Minuten unterwegs, meldete sich wieder meine Achillessehne zu Wort. Besonders hügelabwärts schmerzte sie sehr, aber auch in der Ebene, während hangaufwärts zu gehen kein Problem darstellte. Hangaufwärts störten nur die knapp 20 Kilo auf meinem Rücken.

Auf dem schmalen Pfad entlang des Loch Lomond trafen wir an einem Parkplatz zwei Arbeiter, die damit beschäftigt waren, den West Highland Way gartentechnisch in Schuss zu halten, sprich: Sie kappen die vielen Ranken am Pfadesrand. Mit ihnen kamen wir ins Gespräch. Als sie hörten, wir seien Deutsche, fragten sie uns, ob wir denn das "tolle Fußballspiel gestern" gesehen hätten. Nein, wieso? Deutschland habe Portugal spektakulär mit 3:2 besiegt, und dieser hässliche Blonde habe hervorragend gespielt, während Ballack "absolutely genious" gewesen sein soll. Wie bitte? Deutschland hat Portugal besiegt?? Unfassbar. Da vergaß ich glatt meine Achillessehne für ein paar Minuten. Endorphine tun halt doch ihre Wirkung. :-)

Schließlich, nach endlos scheinenden sechs oder sieben Kilometern, kamen wir in den Ort Rowardennan. Ort? Am Ortseingang: eine Ferienhaussiedlung, dann ein Hotel. Dann 500 Meter gar nichts, dann ein Parkplatz und eine offiziell wirkende Hütte, deren Sinn wir aber nicht zu ergründen gedachten. Vielleicht die lokale Vogelwarte? In einem Kilometer Entfernung sollte dann noch die Jugendherberge kommen, und das wäre es dann mit Rowardennan. Zunächst ließen wir uns aber auf dem Parkplatz direkt am Wasser auf einer Bank nieder. Die Straße endete hier, daher gab es auch keinen großen Autoverkehr. Auf der Parkbank analysierten wir meine Schmerzen in der Ferse und beschlossen, noch den Kilometer in die Herberge zu gehen und dann dort für eine oder zwei Nächte zu bleiben und meinem Fuß eine Pause zu gönnen. Zwar soll dort kein Frühstück serviert werden, dennoch hat das Etablissements gute Kritiken bekommen.

So hinkte ich denn Katja hinterher. In der Einfahrt zur Jugendherberge (hier führte eine andere Straße hin, während der West Highland Way immer schön am Ufer des Lochs bleibt) holzte eine Horde von für diese Tätigkeit unangemessen bekleideten Damen und Herren (die sahen alle aus, als hätte ein wildgewordener Polizist wahllos 20 Autos angehalten und die Insassen zu Fronarbeit verdonnert) den halben tropischen Regenwald ab, der sich in Form riesiger Rhododendren in der Einfahrt zur Herberge breit gemacht zu haben schien. Auf dem Parkplatz des Anwesens (nicht anders kann man die Jugendherberge nennen) standen die 20 Fahrzeuge, die der wildgewordene Polizist herausgewunken zu haben schien. "Die gehören doch hoffentlich zu den Arbeitern", sagte Katja, doch wir wurden enttäuscht. Ein Schild an der Rezeption sagte unmissverständlich, dass man "Full for Tonight" sei.

Was tun? Wir hatten uns doch für etwas Ruhe entschieden - ein paar Stunden keinen Stress für meine Ferse. Zurück nach Rowardennan? 1,5 Kilometer bis zum Hotel? Nein danke. Vorwärts immer, rückwärts nimmer! Dann lieber weiter. Wir konsultierten die Karte. Das nächste offizielle Etappenziel war das Hotel in Inversnaid - viel zu weit weg. Aber vorher sollte es noch einen ofiziell-wilden Zeltplatz und kurze Zeit später eine Lodge geben, die auf der Karte mit einem Bettensymbol versehen war, einige Kilometer vor Inversnaid dann auf dem unteren Weg (der Weg teilte sich 300 Meter nach der Lodge in einen Höhen- und einen alternativen Uferweg) noch eine Schutzhütte. Wir entschieden, zum Zeltplatz weiterzugehen. Meine Ferse rieben wir großzügig mit Mobilat ein, das einzige Mittel, das wir für solche Fälle mitgenommen hatten. Ich benutzte es schon seit zwei Tagen.

Bis zum Zeltplatz (und noch darüber hinaus) waren Massen an Leuten damit beschäftigt, Rhododendron zu vernichten. Soll der hier ausgerottet werden? Oder nimmt er einfach nur Überhand und wird einmal alle zehn Jahre zurückgeschnitten? Auf dem Zeltplatz rauchte es gewaltig; dort schien das ganze abgeschnittene Holz dann verbrannt zu werden. Also: Weiter zur Lodge. Immerhin war der West Highland Way hier ein gut ausgebauter, breiter Forstweg ohne große Steigungen oder Senken.

Der Weg dorthin muss für Katja eine Qual gewesen sein. Ständig hörte sie mein Jammern hinter sich: "Au!", "Geh nicht so schnell", "Ich brauch 'ne Pause" und so weiter und so fort. Doch sie nahm es mit großer Gelassenheit. Mir kreiste die ganze Zeit die Erinnerung an unsere 2006-er Weserwanderung von Hannoversch-Münden bis beinahe Hameln im Kopf herum: "Wieso immer ich, und wieso immer der rechte Fuß?" Damals hätte ich mir beinahe einen Ermüdungsbruch zugezogen.

Schließlich kamen wir über einen wunderschönen, Rhododendron-gesäumten Weg, der vom West Highland Way abbog, zur Lodge. Es handelte sich um ein hübsches, kleines Haus direkt am Ufer des Loch Lomonds, dahinter erstreckte sich eine frisch gemähte, grüne Wiese. Aber niemand war da. Was nun? Zurück zum Hotel in Rowardennan - mittlerweile fast drei Kilometer hinter uns, die wir noch einmal würden laufen müssen - oder lieber voran in Richtung Inversnaid auf dem unteren Weg, wo noch die Schutzhütte liegt?

Zunächst versuchten wir, telefonischen Kontakt zum Bunkhouse in Inversnaid herzustellen, um herauszufinden, ob es für uns noch einen Platz gab. Ein Bunkhouse ist eine Kategorie unter Jugendherbergen angesiedelt. Wir bekamen jedoch nur ein "Piep-Piep-Piep", dann brach die Verbindung ab. Mehrfach. Also versuchten wir es im Inversnaid Hotel. Mit dem gleichen, frustrierenden Ergebnis.

Ich schluckte Traumeel, ein Mittel gegen Entzündungen, das in Kombination mit dem allmählich wirkenden Mobilat ein kleines Wunder wirkte: Ein warmes Gefühl durchlief mich, dann konnte ich einigermaßen laufen. Jetzt allerdings machte sich - glücklicherweise nicht nur bei mir - die allgemeine Anstrengung bemerkbar, denn die Rucksäcke zogen uns ganz schön nach unten, denn wir mussten ganz schön nach hügelaufwärts krabbeln, um zur Abzweigung von Höhen- und Uferweg zu kommen. Oder hatten wir die Abzweigung schon verpasst? Doch zunächst trafen wir auf eine Schlange. Sie war etwa 30 cm lang, braun und wies keinerlei Zeichnung auf. Schlange oder Blindschleiche? Züngeln Blindschleichen mit gespaltener Zunge? Keine Ahnung.

Gerade als die Schlange den Abgang in die Büsche wagte, kamen drei mollige Damen den Hügel hinaufgeächzt. Eine davon identifizierte das Reptil als "Maybe a grass snake". Das wäre dann eine Ringelnatter. (Nach späteren Vergleichen bei Wikipedia glauben wir nun übrigens doch eher an eine Blindschleiche.)

Wir wanderten weiter und ließen die drei hinter uns pausieren. Stetig ging es hügelaufwärts. Längst hätten die 300 Meter nach der Lodge vorbei sein müssen, nach denen sich der Weg gabelt. Andererseits könnten wir aufgrund der Anstrengungen auch einfach ein ziemlich schlechtes Entfernungsgefühl haben. Zudem stand ich unter Drogen: Traumeel und Mobilat.

Wir tranken gerade einen Schluck Wasser, also uns die drei Damen wieder einholten. Sie waren definitiv fitter als ihr molliges Äußere Glauben machte. Wir fragten sie, ob auch sie heute nach inversnaid gingen. So kamen wir ins Gespräch, im Verlauf dessen ich mein Leid mit der Achillessehne (na, was heißt Achillessehne auf Englisch?) klagte, und dass wir nicht wüssten, ob wir in Inversnaid unterkommen können, da unser Telefon nur doof piepte. Eine der drei Ladies zog ihr Telefon heraus und rief kurzerhand und problemlos dort an. Sie buchte uns ein Zimmer und meldete, dass wir ungefähr gegen 18 Uhr dort ankommen würden.

Ich bin mir ziemlich sicher, dass die drei uns ganz gut verstanden haben. Aber wir verstanden wenig von dem, was die drei erzählten ... Doch eins war klar, denn die Frau mit dem Telefon war eine Einheimische, und sie sagte, dass wir lieber den Höhenweg gehen sollten, und *nicht* den Uferweg. Der Höhenweg sei und bleibe ein Forstweg mit nur leichten Steigungen und Gefällen. Der Uferweg hingegen sei heftiger. So entschieden wir uns denn für den Höhenweg. Doch auch ohne diesen Umschwung wären wir wohl auf dem Höhenweg geblieben, denn wir konnten die Abzweigung beim besten Willen auch später nicht finden.

Die Damen verabschiedeten sich, und wir zockelten hinterher. Nach einer halben Stunde hatten wir sie wieder, denn sie hatten es sich an einem Aussichtspunkt mit Parkbank gemütlich gemacht. Wir gingen, Traumeel-gedopt, weiter.

Schließlich, laut Karte 4,5 Kilometer vor Inversnaid, kam von links ein Trampelpfad herauf, und ich witzelte, dass das bestimmt der Uferweg sei, der hier wieder auf den Hauptweg stoße. Im Nachhinein war das so witzig nicht, denn der Pfad schien tatsächlich der großartig im Reiseführer beschriebene Uferweg gewesen zu sein.

Nun ging es auf einem schmalen Pfad weiter, nicht mehr auf dem guten Forstweg. Entsprechend langsamer wurden wir und entsprechend weniger wirkte das Traumeel. Der Pfad war ziemlich anstrengend: über Stock und Stein, Fels und Bach, rauf und runter, immer entlang am Loch Lomond und (fast) immer im Wald. Sobald wir anhielten, fielen kleine Fliegen über uns her, wohl angezogen vom Schweißgeruch. Die "typische" Highland-Szenerie (Matsch, Moor, Felsen, Heide) hatten wir bisher nur am Conic Hill, und der markiert lediglich die Grenze zwischen High- und Lowland, gehört aber noch nicht wirklich dazu.

Plötzlich, irgendwo auf dem Weg, stank es erbärmlich. Und da waren sie: vier wilde Ziegen, riesige Viecher mit riesigen, gefährlich aussehenden Hörnern. Sie standen einfach oberhalb des Pfades und fraßen. Sie beäugten uns neugierig, ließen sich aber nicht stören und schienen auch nicht aggressiv zu sein. Im Reiseführer stand, dass man sie "mit etwas Glück" sehen könne, aber auf jeden Fall zuerst riechen würde. So war es in der Tat.

Unser beider Füße taten mittlerweile höllisch weh. Meine Achillessehnenschmerzen waren von den Fußsohlenschmerzen verdrängt worden. "Wann kommt denn endlich Inversnaid?" war alles, was wir noch denken konnten. Es fing an zu regnen, aber das war uns egal, da hinter der nächsten Kurve doch bestimmt Inversnaid liegen würde. Doch hinter der nächsten Kurve kam nur noch eine weitere Kurve. Noch nicht einmal den Wasserfall, der "kurz vor Inversnaid" zu finden sein solle, war erreicht. Was heißt eigentlich "kurz vor"? Ein Kilometer? Zwei?

Der Regen hörte auf, die Sonne kam heraus, der Regen setzte wieder ein. Kurve. Kurve.

"Ich glaub, da steht ein Haus", hörte ich Katja von vorne sagen. Mir reichte die Kraft nicht, um zu jubeln. Der Wasserfall war übrigens nicht "kurz vor" Inversnaid, sondern "direkt an" Inversnaid. Er markiert sozusagen die Grenze von ziegenbewohnter Wildnis zu satellitenfernsehender Zivilisation.

Wanderer haben einen eigenen Eingang zum Hotel, was verschiedentlich als Diskriminierung verstanden wird. Ich empfand es als Segen: Dieser Eingang liegt direkt am West Highland Way und erspart dem fußkranken Wanderer die komplette Umrundung des viktorianischen Gebäudes.

Wir buchten uns für zwei Nächte ein, denn nun brauchten wir beide eine ordentliche Regenerationsphase, und bekamen Zimmer 192. Das ist das Zimmer, das am weitesten weg und am höchsten hinaus war. Die Treppen und Fußböden waren schief und krumm, verzogen vom Alter und der immer währenden Feuchtigkeit Schottlands. Alles Interieur wirkte ein bisschen wie Erstausstattung: viktorianisch. Die Betten allerdings waren sehr bequem, und beim Fernseher handelte es sich um ein modernes LCD-Gerät von LG.

Nur das Wasser der Badewanne, auf die wir uns so gefreut hatten, wollte und wollte nicht heiß werden. Ich setzte den Manager davon in Kenntnis, und er versprach, sich darum zu kümmern, jedoch könne er nichts versprechen.

Das Abendessen war ein Dreigangmenü. Vorweg gab es eine geschmacklich hervorragende Sellerie-Crème-Suppe, in der der Pürierstab jedoch gut und gern noch etwas hätte tanzen dürfen. Katjas vegetarische Quiche sah gut aus und war lecker, ebenso wie meine Lammkeule mit Minzsoße. Was allerdings an der Soße minzig gewesen sein soll, weiß der Koch alleine. Vielleicht ist "mint" ein Synonym zu "brown" oder "warm"? Sehenswert war die Beilagenplatte zu meinem Gericht: Alleine von diesen Beilagen wären wir zwei satt geworden. 300 g Erbsen, 300 g Möhren, 500 g Kartoffeln (alles übrigens komplett ungesalzen - das ist hier so üblich). Zusätzlich lag meinem Lamm noch so eine Art würziger Pommes und Katjas Quiche eine Menge Salat und Coleslaw bei (das ihr zu sahnig war).

Wir wurden beide pappsatt.

Als die osteuropäische Kellnerin uns "wenigstens eine Portion" Erdbeerkäsekuchen aufdrängte, war uns schon klar, dass wir den nicht würden schaffen können. Und als er dann da war, war uns klar, dass wir ihn nicht würden essen *wollen*: Er war ziemlich unansehnlich mit seinen Dosenerdbeeren. Geschmeckt hat er auch nicht.

Katja hatte zum Essen eine Limonade, und die war richtig, richtig lecker. Anscheinend hausgemacht. Und der Whisky im Glas ist zudem preiswert: 2,50 Pfund pro 2,5 cl, und außerdem gibt es eine große Auswahl an Malts. Die einfachen Panschwhiskys wie Johnny Walker oder Teacher's gibt es gar nicht erst, und auch die besseren Blends wie etwa Ballentines finden sich nicht auf der Karte. Doch auf Alkohol habe ich irgendwie keine Lust.

Im Fernsehen lief Fußball. Türkei gegen Kroatien. Das Spiel inklusive der dramatischen Verlängerung und dem noch dramatischeren Elfmeterschießen guckten wir uns noch an, dann gingen wir ins Bett. Ungewaschen, denn das heiße Wasser lief noch immer nicht.

Donnerstag, 19. Juni 2008

Drymen-Cashel, 16 Kilometer

Am meisten schmerzte an diesem Morgen meine rechte Achillessehne. Sollte es gestern vielleicht doch ein wenig zu heftig gewesen sein? Mehr als 20 km gleich am ersten Tag war vielleicht doch ein bisschen zu heftig. Immerhin bewege ich insgesamt 105 Kilogramm an Masse durch die Gegend. Aber später, nach dem ersten kräftigen Regenguss, nach dem Anziehen des kompletten Regengeraffels, dem darauf beinahe folgenden Hitzschlag durch starke Sonneneinwirkung, nach etlichen Aufs und etlichen Abs, nach dem Auf- und dem Abstieg auf und vom Conic Hill sowie einem anschließenden Marsch von weiteren sechs Kilometern gab es nur wenige Quadratzentimeter meines Körpers, die nicht ebenso sehr schmerzten wie die Achillessehne. Die Fingernägel zum Beispiel taten nicht so doll weh. Auch Zahnschmerzen hatte ich nicht.

Katja ging es ebenso, aber ihr geschieht es wenigstens recht, denn sie wollte unbedingt auf den "nur" 350 Meter hohen Conic Hill, statt die bequemere Alternativroute zu gehen. Conic Hill ist nicht etwa konisch. Der Name stammt - etwas anders geschrieben - aus dem Gälischen und bedeutet in etwa "der Morastige". Das ist allerdings ein Merkmal, das nur auf den zweiten Blick offenbar wird. Hätte ich als Kelte das Recht gehabt, den Berg mit einem Namen zu belegen, so hätte ich ihn wohl eher "der Liebernichtmitvielgepäckzubesteigende" genannt. Denn er ist steil. Er ist sehr steil. Wir sind die weniger anstrengende Seite hochgestiegen, dafür hatten wir dann den Zonk beim Abstieg über unebene Stufen mit viel zu großer Schrittweite oder über felsiges Geröll.

Als wir endlich mit zitternden Knien unten im Ort Balmaha ankamen, hätten wir beinahe beide Lobpreisungen an den HERRN angestimmt. In Balmaha gab es ein Pub namens "Oak Tree Inn" (Motto: "Muddy Boots are Welcome"). Es war uns schon von einem Paar aus Leeds empfohlen worden, die in Drymen neben uns gefrühstückt hatten und die wir im Verlauf des Tages zweimal trafen. Hier versorgten wir uns für wenig Geld mit reichlich Sandwiches (die werden hier meistens mit Kartoffelchips gereicht - seltsame Sitte), dann ging es weiter ans Ufer des Loch Lomonds. Das Loch Lomond (Loch spricht sich übrigens *nicht* "Lok", sondern tatsächlich wie ein richtiges, deutsches "Loch") ist Schottlands größter See, und ein Loch kann fast alles sein, was mit Wasser zu tun hat: ein schmaler See, ein breiter See, ein runder See, ein Fjord, eine längliche Meeresbucht. Und wir liefen ab sofort an seinem Ufer entlang. Zunächst für vier Kilometer, wo der erste Campingplatz lag. Doch wir entschieden uns demokratisch in einer Urabstimmung dafür, zum nächsten Platz weiterzugehen, der nur zwei Kilometer entfernt war.

Hätten wir es mal gelassen.

Der West Highland Way hatte von nun an einige Überraschungen in Sachen plötzlicher Auf- und Abstiege in petto. Gleichzeitig wurde der Wind, der schon den ganzen Tag über heftig geweht hatte, immer stärker. Als wir schließlich nach nur 16 km Marsch (okay, über einen fiesen Berg rüber) am Campingplatz ankamen, waren wir beide ziemlich fertig. Wir bauten unser Zelt auf (laut Hersteller geht das auch bei starkem Wind mit nur einer Person, und was soll ich sagen: Es stimmt! Allerdings machten wir das dennoch zu zweit), verstauten die Sachen und begannen, Essen zu kochen.

Traditionell hätte es eine Dose Ravioli pro Person geben müssen, aber diese Tradition hat ein echt gewichtiges Problem. Statt also Konserven zu schleppen hatten wir vorab Convenience-Food gekauft, also diese Nudelgerichte in Tüten, die man in Wasser kippt und ein bisschen kocht. Die machen satt, schmecken besser als das Zeug aus den Bundeswehr-EPAs und sind verhältnismäßig klein und leicht. So gab es denn also Spiralnudeln in Bolognesesoße - und die haben fast geschmeckt wie meine geliebten Ravioli. Und sie sahen auch fast so aus.

Nach dem Essen und dem Abwasch ging es unter die heiße Dusche. Dieser Campingplatz hat richtig schöne, saubere Sanitäreinrichtungen, die nicht nur gut aussehen und funktional sind, sondern die auch noch gut riechen. Und sie sind Code-gesichert. Den Code gab es beim Einchecken.

Heute läuft Fußball: Deutschland gegen Portugal. Da Deutschland vermutlich eh keine Chance hat, sparen wir uns die zwei Meilen zum nächsten Pub. Statt dessen gehen wir lieber pennen. Vielleicht hilft das, der Muskelschmerzen Herr zu werden? Besonders schlimm sind momentan die Schultern wegen des Gewichts des Rucksacks. Und natürlich die Achillessehne.

Mittwoch, 18. Juni 2008

Milngavie–Drymen, 21 Kilometer

Wir wachten gut entspannt auf, obwohl uns die Geräusche des Hauses ("Tropft da was?") manchmal etwas irritiert hatten. Nach einem umfangreichen Frühstück ging es los, zunächst zur Tankstelle, die wir gestern gefunden hatten. Leider war dort kein Benzin für den Kocher zu bekommen – wegen eines Streiks gab es nur noch Diesel, was sich nicht lohnt, und darum war gleich die ganze Tankstelle zu. Das Touristbüro verkaufte Camping-Gaz-Kartuschen und Terpentin – aber keinen "Coleman Fuel". Coleman Fuel gibt es auch bei uns, aber hier ist es ähnlich synonym für Benzinkocherbenzin wie bei uns Tempo für Papiertaschentücher und Tesa für transparentes Klebeband. Jeder weiß, was gemeint ist. Dennoch sind Kocher für Coleman Fuel in Schottland leider totaaal unüblich, wie uns die junge Dame im Touristbüro versicherte, was daran liege, dass Coleman Fuel sechs bis acht Pfund pro Liter koste und der Schotte bekanntlich in seinem Ausgabenverhalten eher dem Schwaben gleicht. Verkauft werden darf der Coleman Fuel zudem ebenfalls kaum, nämlich nicht in Gebieten, in denen Menschen unmittelbar wohnen – wegen der eklatanten Explosionsgefahr. Gaskartuschen und Terpentin sind dagegen natürlich völlig harmlos. Besonders in großen Mengen. Die nächste Tankstelle könnte es in Drymen geben – dort müssen wir also heute hin. Das sind über 20 km. Eine fiese erste Etappe.

Also verließen wir Milngavie ohne Benzin, dafür frohen Mutes. Schon nach wenigen hundert Metern eröffneten sich links und rechts Blicke auf die "Moors". Moors sind nicht bloß Moore im deutschen Sinne, sondern auch Sümpfe, trockene und nasse Heidegebiete und ganz allgemein auch mystische Landschaften.

Wir wurden von einem einsamen Wanderer überholt, als wir gerade einen Schluck Wasser tranken. Dann trottete er einen Kilometer weit ein paar Meter entfernt vor uns her, immer im gleichen Tempo wie auch wir. Schließich hielt er an, um einen Blick auf die Karte zu werfen. In Wahrheit, so vermuteten wir, ließ er uns passieren. Wer alleine wandert, will in der Regel auch alleine sein, und ansonsten spricht er jemanden anders an. Entsprechend zockelte er dann hinter uns drein, etwa 300 bis 500 Meter entfernt. Plötzlich wurde er durch Shitloads of People (© Annett) verschluckt, die sich in großer Eile einer schäumenden Woge gleich heranwälzten. Es waren Männer und Frauen jeden Alters und bar jeder vernünftigen Flüssigkeitsversorgung, dafür mit jeder Menge für eine Wanderung ungeeignetem Schuhwerk ausgestattet. Sie holten auch uns ein, verschluckten uns an der Spitze und spien uns an ihrem Ende wieder aus. All dies geschah in einer wundervollen, offenen Hügellandschaft (den Lowlands) mit Blick auf ungewöhnliche Vögel mit säbelförmigen Schnäbeln.

Zäune und Wälle mussten wir übersteigen. Wo der Weg einen Zaun kreuzt, sind Stiegen eingebaut, über die man recht bequem die Seiten wechseln kann. Bei der zweiten Stiege half uns jemand aus der letzten Kleingruppe der Shitloads of People©, die wir mittlerweile wieder eingeholt hatten – er sprach Katja in lupenreinem Deutsch an, ob er helfen dürfe. Im anschließenden Gespräch stellte sich heraus, dass die vielen Leute zu einer deutschen Biotechfirma gehörten, deren schottische Tochter heute ihren Wandertag hatte. Im Sichtfeld unserer ersten gesichteten Whisky-Destillerie (Glengoyne) verabschiedeten wir uns voneinander. Sie gingen weiter, wir machten an einer Wegkreuzung Mittagspause.

Während wir darauf warteten, dass sich unsere Muskeln nicht mehr protestierend gegen uns erhoben und wir entsprechend weitergehen konnten (und dass unsere schweißgetränkten Klamotten trockneten) klebte sich Katja Pflaster auf die ersten Schubberstellen an ihren Hüften. Dann trafen ein Paar aus Philadelphia, danach vier Damen aus North Carolina ein. Auch sie wollten bis Fort William wandern – allerdings mit sehr leichtem Gepäck: ein bisschen Wasser, ein bisschen Essen, Regenbekleidung. Der Rest wird mit einem Transportservice von Etappe zu Etappe transportiert. Niedlich war die jüngste der vier Nordkarolinerinnen: Als sie hörte, dass wir aus Deutschland kommen, sagte sie "Ah, that's why I can understand you". Schön, dass auch native Sprecher Sprachprobleme in dieser Gegend haben (Mollgäi?).

Anschließend liefen wir Kilometer um Kilometer auf einer alten Bahntrasse ohne Schienen entlang. Laaaaaaangweilig. Ab und an kam zur Abwechslung ein Gatter, das zu öffnen und zu schließen war (Katja: "Diese Dinger gehen mir jetzt schon auf den Keks"), aber das war's dann auch. Bei etwa Kilometer 16 gab es ein Café mit einer gemähten Wiese, die als wilder, aber genehmigter Campingplatz fungierte. Das Café namens Wishingwell Farmhouse hatte durchaus ernst zu nehmende Gerichte auf der Karte. Wir hatten eine gebackene Kartoffel (Katja) und ein Sandwich (ich), beide mit Cream Cheese und Lachs aus der Gegend. Sehr, sehr empfehlenswert! Doch zum Bleiben war es noch zu früh, deshalb gingen wir wieder. Den nächsten Campingplatz in zwei Kilometer Entfernung wollten wir uns auch noch ansehen.

Hätten wir es mal bleiben lassen.

Denn nun wurde es so richtig anstrengend, und das zum Ende des Tages. Wir gerieten in die Ausläufer der Highlands. Hügel um Hügel erklommen wir, und die Aufstiege waren teilweise ziemlich heftig. Schließlich kamen wir ziemlich gerädert beim Campingplatz an, mit dem Gedanken an ein schönes, fettiges, schottisches Frühstück morgen früh und ein schönes, fettiges Abendessen heute Abend. Aber das gibt es nur in B&Bs und Pubs, nicht auf improvisierten Zeltplätzen auf Farmhousegelände inmitten der Lowland-Pampa. Darum tasteten sich unsere Gedanken schon einmal vorsichtig bis Drymen vor, wo wir ohnehin eigentlich des Sprits wegen noch hinwollten.

Doch erst einmal trafen wir wieder auf den einsamen Wanderer von vorhin. Er kommt aus Glasgow und wandert wie wir mit Gepäck nach Fort William. Gemeinsam gingen wir zum Büro des Campingplatzes, wo er seine fünf Pfund für die Nacht bezahlte. Ich, noch unschlüssig, ob wir bleiben würden, fragte den Inhaber nach Coleman Fuel. Er nahm mich mit nach hinten, wo er einen 20-Liter-Benzinkanister hervorkramte und großzügig in meine 0,6-Liter-Spritflasche eingoss. Geld wollte er keines haben, aber ich nötigte ihm dennoch zwei Pfund auf, denn wir blieben nicht, wie Katja in der Zwischenzeit beschlossen hatte.

Weiter ging es ins zwei Kilometer entfernte Drymen, wo wir ein B&B und ein Pub fanden. Der Wirt hatte etwa unser Alter und wollte 70 (!) Pfund für die Nacht haben. Wir sagten ihm, dass sei außerhalb jeglicher Diskussion und machten Anstalten zu gehen. Erst senkte er den Preis auf 60 Pfund, schließlich auf 56. Der Campingplatz hätte 5 Pfund pro Nase gekostet...

Drymen ist klein. 800 Einwohner soll es laut Reiseführer geben. Dennoch gibt es viel Touristennepp: "Kunst", "Töpferhandwerk" und so ein Zeug. Muss daran liegen, dass das größte Gebäude des Ortes das zentral am Platz gelegene Best-Western-Hotel ist, wo busladungsweise ältere Herrschaften absteigen. Zudem existiert noch ein Outdoorladen, ein Post Office und ein Spar-Supermarkt, in dem wir uns eindeckten: neues Wasser, Brot, Käse aus der Tube, Äpfel und – Katjas Tagesstreckenbelohnung – eine Tüte Thai-Sweet-Chili-Kartoffelchips. Im Edeka bei uns umme Ecke hätte dieser Einkauf etwas unter 20 Euro gekostet (da kostet *alles* um 20 Euro, egal, wie voll der Einkaufswagen ist. Erstaunlich, aber seit der Euroeinführung immer wieder bestätigt worden. Vor der Euroeinführung waren es übrigens immer um 20 *Mark*). Hier bezahlten wir exakt 5 Pfund und 80 Pence. Und das, so sagte uns der Wirt, obwohl die Lebensmittelpreise in den letzten zwei Monaten um fast 50 % gestiegen seien und Spar ohnehin die Apotheke unter den schottischen Supermärkten sei.

Schließlich streckten wir uns kurz im Bett aus. Katja entschied sich für ein Nickerchen, ich ging stattdessen ins Pub, um das Tagebuch zu führen.

Die wichtigste Nachricht des Tages: Uns tut alles weh. Alles. Die zweitwichtigste: Lokale Spezialität sind Pommes, überhäuft mit geriebenem Cheddar-Käse. Ziemlich fettig, das Ganze. Das Coleslaw (wer es nicht kennt: Das ist eine Art Krautsalat, nur besser, aus Weißkohl, Möhren und Zwiebeln in Mayonnaise) war erheblich besser. Kaum war mein Essen am Tisch, kam wie auf Kommando Katja ins Pub. Meinen Glengoyne-Malt wollte sie nicht, stattdessen bestellte sie Pommes (schlauerweise ohne den Käse) und ein halbes Pint Cider. Ich schloss mich dem Cider an, nahm aber ein ganzes Pint.

Unterdessen starteten die Spiele Schweden-Russland und Griechenland-Spanien. Nach der 1. Halbzeit verließen wir jedoch die Spelunke und dackelten – besser: eierten – heim. Mal sehen, wie es uns morgen so geht. Katja sagt, dass meine Füße müffeln.

Dienstag, 17. Juni 2008

Hannover–Milngavie

Morgens um halb acht bin ich von selber aufgewacht. Wer mich kennt, der weiß, wie unwahrscheinlich das ist. Aber im Urlaub ist es nun einmal ausgemachte Sache zwischen Katja und mir, dass ich vor ihr aufzustehen habe. Ausgemacht hat diese Sache übrigens Katja.

Die letzte Dusche, der letzte heimische Toilettengang, das letzte vernünftige Frühstück – ab jetzt 14 Tage in die Fremde. Katja duscht, während ich die letzten Einträge ins Blog mache. In zehn Minuten etwa müssen wir los. Ein letzter Blick in meine E-Mails. Ein Kunde hat mir einen Auftrag für morgen geschickt. Hä? Hatte ich den nicht informiert, dass ich gar nicht da bin? Kurzer Check: Doch, selbstverständlich habe ich ihn informiert. Vor fast zwei Wochen. Entsprechende Mail zurück. Sofort ruft der Kunde mit leichter Panik in der Stimme an. Doch dies ist einer der seltenen Fälle, in denen ich nun wirklich nichts mehr machen und auch wirklich nichts mehr mit Externen regeln kann – es tut mir ehrlich Leid. Wir müssen los und bekommen gerade noch so unsere Bahn. Mit Rucksäcken läuft man eben doch langsamer als sonst.

Am Flughafen bekommen wir jede Menge unangenehmer Überraschungen. Zunächst einmal müssen wir für unser normales Gepäck Transportgebühren zahlen. Bitte was? Das ist doch kein Billigflieger für 29 Euro hier! Unsere Flüge kosten über 400 Euro! Diese Transportgebühr war bei Opodo.de nicht zu erkennen, vermutlich super klein oder in irgendwelchen AGB versteckt. 18 Euro sollen wir nun pro Gepäckstück und Strecke bezahlen! Da wir einen Zwischenstopp in Manchester (Hinflug) und einen in Birmingham (Rückflug) haben werden macht das 18 Euro x 2 Rucksäcke x 4 Flüge = 144 Euro. Plus Kreditkartengebühr von sechs Euro! Das hat den Flug mal so eben fast 50 % teurer gemacht. Hätten wir das geahnt, hätten wir nicht im Internet gebucht, sondern in einem Reisebüro.

Fängt gut an, was? Es kommt aber noch besser: Unser Flug hatte auch noch eine Stunde Verspätung. Ob ich dafür eine Rechnung stelle? Eine Stunde kostet bei mir immerhin 65 Euro. Netto.

Zunächst haben wir unsere Rucksäcke als Sperrgut aufgegeben und unsere Messer und den (leeren) Benzinkocher einer freundlichen Bundespolizistin präsentieren müssen. Sie schnupperte an der leeren Fuelbottle, die natürlich noch immer nach Sprit riecht, und meinte, das davon wohl keine Flugzeuge explodieren würden. Die Bottle war freigegeben.

Als wir durch die Zollkontrolle gingen, sah eine der jüngeren Zöllnerinnen den Wanderführer zum West Highland Way. "Wollt ihr da lang wandern?", fragte sie. Sie wolle den Weg im nächsten Jahr gehen; in diesem Jahr sei Nordschweden an der Reihe.

Unseren Anschlussflug in Manchester haben wir trotz der einstündigen Verspätung locker gekriegt, denn wir hatten in Manchester auch regulär einen Aufenthalt von drei Stunden. Irgendwie haben wir die dann auch rumgekriegt. Mit viel Langeweile. Denn selbst der Flughafen im irischen Shannon hatte in seinem World Famous Duty Free Shop Airport Parlour ein großzügigeres Angebot an Dingen zu bestaunen.

Der Flug von Hannover nach Manchester in einem zweistrahligen Jet und der von Manchester nach Glasgow in einer Turboprop lief ruhig ab, obwohl der Wind ganz schön bockig wehte. In Glasgow regnete es. Wir bekamen unsere als Sperrgut aufgegebenen Rucksäcke auf dem normalen Förderband zurück, und alle daran festgeschnallten Ausrüstungsgegenstände waren auch noch dran.

Eine freundliche Schottin namens Sarah verkaufte uns Bustickets zur Central Station und lehrte uns die korrekte Aussprache unseres heutigen Zielortes, dem Ausgangspunkt des West Highland Ways: Mollgäi. Geschrieben wird Mollgäi übrigens logischerweise Milngavie. Außerdem wies sie uns den Weg dorthin. Und der freundliche Busfahrer der Linie 500 donnerte mit seinem Wireless-LAN-bestückten Bus derart über die Straßen der Schottenmetropole, dass wir binnen kürzester Zeit in strömendem Regen vor dem Bahnhof standen. Auch dort trafen wir überall hilfsbereite Menschen, die uns den Weg durch das verzwickte Netz der Bahnsteige wiesen.

Willkommen im Land der lustig piependen Vorstadtzüge, die während der Fahrt Büsche streifen!

Mollgäi, äh, Milngavie ist ein kleiner Ort. Außer einem Bahnhof, einer Säule, die den Beginn des West Highland Ways markiert, einer kleinen Fußgängerzone und dem obligatorischen Glofplatz pro 1000 Einwohner gibt es hier nicht viel zu sehen. Das Bed & Breakfast, das ich telefonisch von Manchester aus gebucht hatte, ist ein sauberes, schickes Häuschen, das zwar keinen Familienanschluss, dafür aber ein ausgesprochen umfangreiches Frühstücksbüffet bietet. Ein wirklich umfangreiches Büfett.

Nach dem Bezug unseres Zimmers sind wir erst einmal in den Ort gegangen, genauer ins Cross Keys, eine niedliche Taverne, in der wir Fish & Chips aßen, ein Lager bzw. ein Wasser tranken, die beiden EM-Spiele Italien-Frankreich und Rumänien-Niederlande sehen konnten und trotzdem nur 11,40 Pfund (zzgl. Trinkgeld) zu bezahlen hatten. Ein Pfund sind ca. 1,26 Euro. Fairer Preis.

Als klar war, dass die doofen Italiener gewinnen würden, sind wir gegangen und haben uns den Ort angesehen. Ganz süß, aber alles andere als aufregend. Wir suchten nach einer Tankstelle, um morgen früh unsere Fuelbottle aufzutanken, damit wir eigenständig kochen können. Nachdem wir eine gefunden hatten, sind wir ins B&B zurück. Die Heizung, die unsere Wirtin Cathy wohlmeinend voll aufgedreht hatte, haben wir ganz schnell wieder abgedreht.

Heldengedenktag

Übrigens, bevor ich es vergesse: Heute ist Heldengedenktag.

"Wir haben die Wahl zwischen Sklaverei und Freiheit. Wir wählen die Freiheit." - Konrad Adenauer

Das letzte echte kontinentale Frühstück

Oh graus! Langsam legt sich Panik über uns: Heute früh haben wir ein letztes Mal unsere Toilette genossen – und unsere Dusche. Ab sofort heißt es statt dessen Donnerbalken und Regen. Doch gerade sitzen wir beim Frühstück, und das ist der eigentliche Grund für die Panik. Statt einer Schüssel Müsli mit All-Brans (die heißen heute albernerweise "DayVita", wohl um es *noch* gesünder klingen zu lassen) gibt es künftig nur noch Haggis und bitteren Tee mit Milch. Trotzdem freuen wir uns, dass es endlich losgeht! :-)

Im Moment bemühe ich mich noch, eine Bleibe für heute Abend in Milngavie zu finden (den Ort spricht man in etwa "Mallgäi" aus. Die spinnen, die Kelten), was ein nördlicher Vorort Glasgows und der Ausgangspunkt des West Highland Ways ist. Leider ist das Nest recht klein, so dass es nicht sonderlich viele Unterkünfte gibt. Mal sehen, wie sich das entwickelt. Und mal sehen, von wo aus ich mich das nächste Mal melden kann…

Montag, 16. Juni 2008

Der letzte Abend vor der Reise

Heute fand ich auf der Suche nach meinem Reisepass einen Umschlag mit 40 britischen Pfund. Die muss ich seit meiner Englisch-Leistungskursfahrt 1991 (oder 1992?) haben, denn seither bin ich glaube ich nicht mehr in England gewesen – ob die 10-Pfund-Note von damals überhaupt noch Gültigkeit hat? Wir nehmen sie einfach mit und probieren es aus.

Ansonsten waren wir noch einmal auf abschließender Einkaufstour. So haben wir uns neben den letzten noch fehlenden Ingredienzen für die Reiseapotheke (Mobilat, Desinfektionsmittel und Compeed-Blasenpflaster – das Zeug im Bestand war nämlich abgelaufen) und den letzten Verpflegungsreserven (Müsliriegel und Teebeutel) eine kleine Tasche gekauft, in die Kamera und eine Zwischenmahlzeit passen, und die wir sowohl als Hüftgürteltasche mit in den Flieger nehmen als auch an den Hüftgurt des Rucksacks schnallen können. Wasserdicht ist sie zwar nicht, aber dieses Problem löst eine simple Plastiktüte, in die wir den Inhalt der Tasche bei Bedarf einschlagen.

Apropos wasserdicht: Katja hat bereits vorgestern unsere Sonne-und-Regen-Schutzhüte per Sprühflasche auf dem Balkon und bei geöffneter Balkontür mit einem Nebel aus Imprägniermittel benetzt. Neben dem wundervollen Odeur, der danach durch unsere Wohnung waberte und uns alles hat in schillernden Farben sehen lassen, wird diese Behandlung den Effekt haben, dass die Hüte wenigstens eine Stunde lang wasserdicht sind. Danach hilft nur noch, die nassen Haare zu ignorieren. Wir wissen das. Aber wenn es ganz hart kommt, haben wir auch noch Kapuzen an unseren Goretex-Jacken.

Etwas mehr versprechen wir uns ohnehin von unserem Schuhwerk. Das habe ich gestern neu imprägniert, und weil das erfahrungsgemäß am besten geht, habe ich dafür keine Bürste genommen, sondern die Fingerkuppen. Nichts ist besser, um auch die letzte Ritze und die kleinste Naht im derben Material der Wanderstiefel mit Goretex-Pflege (bei mir) und Lederpflege (bei Katja) zu erwischen. Nichts ist jedoch schlechter, wenn man vorhat, am nächsten Tag zivilisiert auszusehen: Schuhcreme ist wirklich hartnäckig. Man gut, dass wir da noch immer diese hässliche Wurzelbürste im Bad haben – aber es hat mich zehn Minuten Schrubberei gekostet, bis meine Fingernägel wieder erträglich aussahen und auch bestimmt kein Wasser mehr von den Händen abperlte. Tja, und heute, während unsere Nationalpiefkes dem aggressiven Bergvolk im Süden mal so richtig gezeigt hat, wo der Frosch bei dieser EM die Locken hat, da habe ich, weil ich die Spannung des Spiels kaum habe ertragen können, die Schnürsenkel wieder in die Ösen der Stiefel gezogen. Und anschließend, während der Halbzeitpause, habe ich wieder ein paar Minuten Fingerkuppen geschrubbt.

Morgen am Mittag geht der Flieger, und damit beginnt unsere Reise nach und durch Schottland. Sowohl für Katja als auch für mich ist es das erste Mal in der Gegend. Mein Freund Gerrit hat mir neulich noch ein paar Infos zu Fort William und der Isle of Skye mit auf den Weg gegeben, die Karte und der Reiseführer sind eingepackt, Kreditkarten, Ausweise und Bargeld liegen ebenfalls bereit, für die Blumen sorgen unsere lieben Nachbarn Lars und Alex. Das müsste es eigentlich sein – wir können los!

Jeder hat sein Bündel selbst zu tragen

Gestern haben Katja und ich unsere Schottland-Rucksäcke gepackt. Katjas Rucksack bringt lediglich 15 Kilo auf die Waage. Weniger als jemals zuvor! Mein eigener liegt bei sogar nur 13 Kilo, allerdings werde ich noch das Wasser aufnehmen, also mindestens drei weitere Kilogramm bekommen, vermutlich sogar viereinhalb, sowie außerdem das Benzin für den Kocher (das wir natürlich erst nach dem Flug in Schottland kaufen können). In die Brennerflasche passen 0,6 Liter, das sollten dann vielleicht zusätzlich so 300 oder 400 Gramm sein. Dennoch werde ich selbst mit weniger als 20 Kilo laufen, und das ist für mich ein Novum. Langsam zahlen sich die Investitionen in leichte Materialien anscheinend aus. Dazu kommt noch, dass dieses Mal fast kein Geraffel außen am Rucksack hängt – wir benötigen nicht einmal Außentaschen. Und außerdem habe ich das Gefühl, dass ich zu viele Klamotten eingepackt habe. Hrmpf.

Heute gehen wir noch einmal die Reste einkaufen, die uns noch fehlen, etwa Teebeutel, Blasenpflaster und ein paar Energieriegel. Und los geht's gleich. :-)

Samstag, 14. Juni 2008

Wetter!

Heute früh bekam ich eine Mobiltelefontextnachricht von meinem Kumpel Gerrit. Sie bestand nur aus einer Frage: "Wandern bei dem Wetter?" Das bezieht sich offenbar auf den Wetterbericht für unsere Wanderroute von Glasgow nach Fort William. Meine Antwort fiel kurz aus, aber nur, weil ich diese Mobiltelefontextnachrichterei hasse wie einen nassen Schlafsack: "Ja klar!"

Und so sieht der Wetterbericht für die nächsten Tage aktuell aus:



Auf der Homepage unseres Wanderziels Fort William findet sich im Bereich "Weather" eine wunderbare Formulierung, die ich hier zitieren möchte: "A stunning red sunset at any time of year is often replaced by a gray, wet morning, and this in turn can quickly burst into a bright, clear, sunny day with a clarity sometimes beyond belief. After heavy rainfall, rainbows arch across mountainous skylines and lochs lay at peace in reflective mood." Diese Erfahrung haben Béla und ich schon während unserer Irland-Wanderung 2001 gemacht. Dort hatten wir pro Tag drei Jahreszeiten (der Winter fiel glücklicherweise aus).

An dieser Stelle möge noch Erwähnung finden, dass Fort William als der niederschlagreichste Ort der britischen Inseln gilt: Um die 1900 Millimeter fallen dort im Laufe eines Jahres. Zum Vergleich: Hamburg, das ebenfalls nicht gerade einen trockenen Ruf hat, bekommt im gleichen Zeitraum nur rund 770 mm Niederschlag, Hannover sogar nur 660 mm. Wir machen uns also auf viel Wasser gefasst. Entsprechend haben wir unsere Ausrüstung auch ergänzt: Zum Beispiel habe ich mir neulich, als S.F.U. sein 25-jähriges Jubiläum gefeiert und daher satte 25 % Rabatt gewährt hat, eine leichte Haglöfs-Regenjacke ausgesucht, die ich mir ohne den Rabatt nicht hätte leisten mögen, natürlich mit Goretex-Membran, Unterarmbelüftung, wasserdichten Reißverschlüssen und ähnlichem mehr. Auch unser neues Zelt soll über selbstabdichtende Hightech-Nähte verfügen, in denen der verwendete Hightech-Faden aufquelle und so die Nahtstellen verschließe. Aha, ein schlichter Baumwollfaden also. :-)

Wir glauben, gut für das Wetter ausgestattet zu sein. Nass werden wir trotzdem werden. Und wir werden das Wetter verfluchen. Aber wenn es soweit ist, dass wir fluchen, dann werden wir uns des Hitzschlagsommers 2003 erinnern, in dem wir uns bemüht haben, in der Normandie zu wandern. Nein, Gerrit, glaub mir: Gegen Kälte kann man sich schützen. Gegen Regen kann man sich schützen. Gegen Hitze aber gibt es keinen Schutz.

Donnerstag, 5. Juni 2008

Geschenkt: Eine Woche Lebenszeit

Eine lustige kleine Geschichte, die sich gestern ereignet hat, möchte ich euch gerne erzählen. Allerdings muss ich dazu ein bisschen ausholen.

Seit dem 26. Mai arbeite ich in den Räumlichkeiten eines Kunden an einem etwas größeren Projekt. Ursprünglich ging es um die Gestaltung einer Zeitschrift bis zum 16. Juni. Am 17. Juni, also nur einen Tag nach Drucklegung, fliegen Katja und ich dann nach Schottland. Kaum hatte ich mit meiner Arbeit an dem Magazin begonnen, stellte sich heraus, dass diese Zeitschrift dann noch für ein zweites Erscheinungsgebiet umgebaut werden und ein großer Teil neu erstellt werden muss – sagen wir also, dass ich gut anderthalb Zeitschriften statt nur einer zu gestalten hatte – und das im gleichen Zeitraum, in einer neuen Arbeitsumgebung mit unbekannter Serverarchitektur und mit einem für mich unüblichen Programm (nämlich Quark XPress, das ich seit drei Jahren zu Gunsten von Adobe InDesign nicht mehr nutze). Also geriet ich plötzlich unter einen gewissen Druck.

Der Aufbau der beiden Zeitschriften ging eigentlich ganz gut voran, ich erinnerte mich täglich mehr an die Shortcuts von XPress, und gestern war ich im Prinzip mit beiden Heften fertig (bis auf einige noch nicht gelieferte Anzeigen und problematische Bilder), aber irgendwie wunderte ich mich dennoch über den vollkommen entspannten Zustand meiner Auftraggeber, denn noch war die angekündigte, abschließende Redaktionskonferenz nicht erfolgt, das Layout war nur grundsätzlich, nicht aber endgültig freigegeben, die Bilder sollten noch von einer kundeneigenen Bildbearbeiterin feingeschliffen werden, und insgesamt machte ich mir schon Sorgen, ob das alles noch zu schaffen ist bis einschließlich Montag. Denn Dienstag wollen wir ja in den Urlaub gehen!

Na gut, jetzt zur Geschichte.

Vor zwei Tagen entdeckte ich bei Amazon endlich eine vernünftige Wanderkarte zum West Highland Way, die ich bestellte, und zwar per Expressversand für sechs Euro mehr, damit wir sie noch pünktlich bekämen. Und gestern Abend zickte ich Katja an, dass ich ja wohl der Einzige hier sei, der sich um die Urlaubsplanung kümmerte, Bücher lese, Karten bestellte, dass ich jetzt endlich mal die Ausrüstung probeweise zusammenpacken will, denn so viel Zeit bliebe ja gar nicht mehr. Und am Wochenende zu meinem Vater, um Spargel zu essen? Allenfalls, um das Zelt aufzustellen und die Nähte mit Silikon abzudichten, aber zum Essen würden wir mit Sicherheit keine Zeit haben!

Katja guckte mich mit großen Augen an und war wohl auch etwas pikiert meines Tonfalls wegen. Und dann sagte sie: "Wir fliegen doch erst am Siebzehnten." Genau, war meine Antwort, am Dienstag. "Ja, aber wir haben doch heute erst den Vierten…" – Jetzt war ich an der Reihe, große Augen zu machen! Irgendwie war mir seit zwei Wochen so, dass schon nächste Woche der 17. Juni wäre. Und plötzlich stellte sich auch bezüglich meines Auftrags beim Kunden die totale Entspannung ein: Ich bin nicht zwei Tage im Voraus fertig mit dem Projekt, sondern zwei Tage und eine ganze Woche. Ob das eine gute Visitenkarte ist, die ich bei diesem Kunden hinterlasse?